Wir feiern "1 Jahr" Betriebsrat SAP AG

Vor genau einem Jahr hatten sich viele Journalisten in der Wirtschaftspresse erstaunt die Augen gerieben. Die meisten SAP-MitarbeiterInnen mussten mit größter Anteilnahme zur Kenntnis nehmen, dass eine Hand voll couragierter, gewerkschaftlich organisierter SAP-KollegInnen ausreicht, um die Wahl eines Betriebsrats bei der SAP AG durchzusetzen. Hinterher sah alles ganz einfach aus.
Der Urknall ...

Diese BR-Gründer, die Gruppe ProBetriebsrat - heute gefällt uns allen der Name ProMitbestimmung besser, weil er weiter in die Zukunft zeigt - hatten sich auf diese demokratische Wahl gut vorbereitet und sie konnten sich bei der Realisierung ihrer Pläne dank ihrer Mitgliedschaft auch der Unterstützung durchsetzungsfähiger Gewerkschaften sicher sein. Für die IG Metall war diese beispiellose BR-Gründung im letzten der 30 starken DAX-Konzerne so interessant, dass die zur Gewährleistung einer professionellen, eigens auf die SAP-Verhältnisse abgestimmten Beratung in Sachen "betriebliche Mitbestimmung", einen zentralen Projektstatus verlieh und bis heute verleiht. Immerhin ist die SAP AG einer der weltweit führenden Softwarehäuser und trotz fast 11.000 ArbeitnehmerInnen am Doppelstandort Walldorf / St. Leon-Rot bei Heidelberg hatte dieser Konzern seit Firmengründung 1972 keinen Betriebsrat. Dabei waren die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wahl eines Betriebsrats gleich vom ersten Tag an gegeben: "In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt" - so steht's im § 1 des BetrVG.
Aber kaum ein anderer Konzern machte den Unterschied zwischen Theorie (reiner Gesetzestext) und Praxis (Durchsetzung der gesetzlich verankerten Rechte) so deutlich wie die SAP AG.
... und die Folgen

Jetzt, nach einem Jahr heftiger Diskussionen mit der Belegschaft, intensiver BR-Aufbauarbeit und vieler gewerkschaftlicher Unterstützungsaktionen kann man sagen: "Der Aufwand hat sich voll gelohnt". Die Belegschaft der SAP AG - und es folgten viele weitere SAP-Töchterbetriebe wie z.B. die SAP Deutschland AG & Co. KG - hat seit 34 jähriger betriebsratsloser Zeit endlich ein Belegschaftsforum, dass über zahlreiche rechtliche Mittel verfügt, um mit dem Management und der Arbeitgeberseite auf gleicher Augenhöhe und mit Durchsetzungskraft für die Unterstützung der Belegschaftsinteressen ringen zu können. Die bis dahin amtierende, SAP-eigene sogenannte "Arbeitnehmervertretung" ANV, das waren die zweckentfremdeten 8 gesetzlich vorgeschriebenen Vertreter der Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat der SAP AG, hatten ab sofort ihre "Quasi-BR-Funktion" verloren. Das war auch gut so, denn keine Belegschaft sollte sich durch einen Scheinbetriebsrat eine Interessenvertretung vorgaukeln lassen.
Drohgebärden und Pokerface
Jetzt ist auch klar geworden: Weder die kaum versteckten Drohungen des Firmenmitbegründers Dietmar Hopp sind eingetreten ("Standortverlagerung ins Ausland ist jederzeit möglich", siehe Linkliste unten 24.2.2006) noch die über die Presse gestreuten Vorurteile des Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner haben sich bewahrheitet ("BetrVG nicht zeitgemäß" und "BetrVG und SAP passen nicht zusammen"). Auch die rechtlich sehr bedenklichen Ausführungen des amtierenden SAP-Vorstandsvorsitzenden Henning Kagermann ("Mehrheitsmeinung schlägt Minderheitsmeinung": Sprich eine betriebliche Abstimmung kann ein Gesetz verhindern) haben wir unbeschadet überstanden und alle aus diesen wirren Beeinflussungen resultierenden Befürchtungen vieler eingeschüchterter SAP-MitarbeiterInnen haben sich somit in Luft aufgelöst.
Die SAP-Belegschaft kommt auf den Geschmack, weitere BR-Gründungen
Der SAP-Betriebsrat in Walldorf hat also mit 37 BR-Mitgliedern seine Arbeit aufgenommen und die BR-Gründer entdecken und erleben fast täglich neue Vorteile der umfangreichen gesetzlichen Möglichkeiten eines tatsächlichen, rechtmäßigen Betriebsrats. Die Vorzüge des BetrVG wollten in der Folgezeit auch andere MitarbeiterInnen im SAP Konzern für ihre Belegschaften nutzen, so dass nach der BR-Gründung in Walldorf bei der SAP AG weitere BR-Gründungen bei den SAP-Töchtern SAP LGD (23 BR-Mitglieder) und SAP SI folgten. Bei SAP SI hat jeder Betrieb seinen eigenen Betriebsrat und zur bundesweiten Koordinierung einen Gesamtbetriebsrat, so wie es das Gesetz auch standardmäßig vorschreibt (in Summe 41 BR-Mitglieder bei SAP SI). Nach dieser Welle der BR-Gründungen wachen mittlerweile 101 BR-Mitglieder ehrenamtlich darüber, dass auch bei SAP die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze in die Tat umgesetzt werden.
Ein Grund zum feiern ...

Das alles zusammen war der Gruppe ProMitbestimmung und der IG Metall Grund genug, am Do. 21.6.2007 in einer gemütlichen Ein-Jahr-Feier die hinter uns liegenden Erfahrungen nüchtern und teilweise auch weniger nüchtern Revue passieren zu lassen. Vor allem die gegenüber einer BR-losen Belegschaft umfassenden Informationsrechte und -möglichkeiten eines Betriebsrats und die sich für die Belegschaft daraus ergebenden Vorteile waren auf dieser Feier vom Projektberater der IG Metall - Heribert Fieber, ehem. BR-Vorsitzender bei der Siemens AG München, durch Vortrag und Diskussion thematisiert worden (siehe Bilder und auch unser Flugblatt im Anhang, ganz unten).
... und ein Grund, um weiter zu machen

Wir hoffen, dass wir in der Folgezeit auch den sich gegenüber Betriebsrat und Gewerkschaft immer noch reserviert verhaltenen SAP-MitarbeiterInnen mehr und mehr die Vorzüge eines aktiven Betriebsrats verdeutlichen können. Auch umgekehrt haben wir viele Vorurteile von MitarbeiterInnen anderer Unternehmen gegenüber den SAP-Verhältnissen abbauen können. Wir sind jetzt sehr zuversichtlich, dass auch die SAP-ArbeitnehmerInnen durch Blicke über den Tellerrand, durch gewerkschaftlichen Erfahrungsaustausch und durch vernetzte Betriebsratsarbeit profitieren können und somit Ihren Betriebsrat zu nutzen wissen.
Links:
Hier das Ergebnis, wenn man "SAP Betriebsrat" in die Suchmaschine CUIL.COM eingibt
Die Süddeutsche erinnert sich: Der etwas andere Betriebsrat
Unser Start im Internet im Febr. 2006: 1. Herzlich willkommen SAP
Start im Internet im Febr. 2006: 2. Betriebliche Mitbestimmung - BR als Vertreter der Belegschaft
Start im Internet im Febr. 2006: 3. Wie entsteht eigentlich ein Betriebsrat?
Historisches Dokument - Aufruf zur ersten Betriebsversammlung bei der SAP AG - 23.2.2006
24.2.2006 - Dietmar Hopp in großer Sorge - Sein Angebot: Informeller Betriebsrat
Erinnern Sie sich, 9.3.2006: SAP denkt an Gang nach Karlsruhe
SAP-Betriebsrat: 9 von 10 wollten ihn nicht, aber alle wollen rein
Wir hatten ein alternatives Modell
Zentralismus bei SAP Deutschland AG & Co. KG
Betriebsratswahl SAP LGD: Die Würfel sind gefallen
Letzte Änderung: 20.03.2013