Betriebsrat verhindert - Erfolgreich?

Warum eine Prothese wenn man das Original haben kann?

29.08.2006 Das Berliner Kommunikationsunternehmen AVM hat erfolgreich die Gründung eines Betriebsrates verhindert - die IT-Branche bleibt sich treu

Das Berliner Kommunikationsunternehmen AVM (Fritz!Box) hat erfolgreich die Gründung eines Betriebsrates verhindert - die IT-Branche bleibt sich treu. So berichtet das angesehene Internet-Magazin Telepolis, siehe Linkliste. Zwei Wörter fallen in dieser Schlagzeile besonders auf: Erfolgreich und treu. Das bei der Verhinderung der Betriebsratsgründung sichtbar werdende Verhalten der AVM-Chefetage ähnelt musterartig dem bei der SAP AG. Auch hier haben sich die obersten Manager nicht gescheut, gegen die BR-Gründung Rechtsgutachten erstellen zu lassen, Gerüchte zu verbreiten oder verbreiten zu lassen und Gruselszenarien an die Wand (bzw. in die Presse) zu werfen, wenn die SAP-Belegschaft es sich erlauben würde, einen Betriebsrat zu wählen. Und die Wirkung auf die Belegschaft blieb nicht aus; die Gründung eines Betriebsrats stieß zunächst auf heftige Ablehnung.

Aber dann - 3 Monate später - hat sich die SAP-Belegschaft trotzdem erlaubt, einen Betriebsrat zu wählen. Einfach weil die Initiatoren ProBetriebsrat nicht eingeknickt sind. Am 21.6.2006 haben sich dann doch über 65 % der bundesweit ca. 10.900 MitarbeiterInnen umfassenden SAP-Belegschaft an der von drei IG Metall-Mitgliedern der SAP AG initiierten Betriebsratswahl beteiligt. Über 400 Kandidaten auf über 10 Listen hatten sich zur BR-Wahl bei der SAP AG eingefunden. Für Nachwuchs ist also gesorgt.

SAP hat jetzt einen Betriebsrat
Mittlerweile arbeitet sich der 37-köpfige SAP-Betriebsrat (aus 6 konkurrierenden Listen) durch das Betriebsverfassungsgesetz und hat für sich sogar schon eine umfangreiche Geschäftsordnung entwickelt und verabschiedet. Demzufolge wird jetzt, begleitet von intensiven Diskussionen, ein Betriebsratsausschuss nach dem anderen designed und ins Leben gerufen, um die schier uferlosen Aufgaben und gesetzlich fixierten Kompetenzen eines Betriebsrats sachkundig und effizient wahrnehmen zu können. Das nächste Ziel des Betriebsrats ist - man höre und staune - die schnellstmögliche Schulung der Mitglieder. Gut so, denn die SAP AG hat, was die Rechte und die Einwirkungsmöglichkeiten der MitarbeiterInnen betrifft, sehr viel nachzuholen.

AVM hat leider keinen Betriebsrat
Die Initiatoren bei AVM haben das erforderliche Durchhaltevermögen zur Gründung eines Betriebsrats aus verständlichen Gründen nicht anwenden können. "Wir möchten nicht riskieren, dass wegen unserer Bemühungen 160 Kollegen auf der Straße landen", teilte die dortige Betriebsratsinitiative mit. Schade, aber wichtig ist, wie die Belegschaft denkt und nicht wie sie denken sollte. Sind Informatiker Leute, die gut informiert sind oder Leute, denen es reicht, wenn der Computer des Unternehmers gut informiert ist? Muss man alle Arbeitnehmerrechte hintanstellen, wenn der Arbeitgeber droht oder sogar erpresst? Seit wann ist das Unterdrücken von Arbeitnehmerrechten die bessere Alternative für eine Belegschaft - diese Frage muss immer wieder gestellt werden, innerhalb der IT-Branche genauso wie außerhalb. Warum sollte sich die BR-Initiative bei AVM verantwortlich machen (lassen) für das, was allem Anschein nach das AVM-Management rechtsmissbräuchlich androht? Jeder hat natürlich das Recht seinen Ängsten nachzugeben! Aber die Vereinzelung der ArbeitnehmerInnen in der IT-Industrie erschwert offensichtlich ein Mut machendes, politisches Verständnis von der Arbeitswelt. Es ist nicht jeder seines eigenen Unglücks Schmied, es gibt auch ungünstige Strukturen für ein demokratisches Miteinander. Auch in der IT-Industrie ist ein Betriebsrat die bestmögliche Grundlage für eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen Belegschaft und Management. Jegliche Art der betrieblichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer, die anstelle eines Betriebsrats agieren soll, kann immer nur eine Prothese sein. Wir müssen an der Verbesserung unserer Informationen durch rechtliche Absicherung der Kommunikation arbeiten - besonders im Informatikjahr 2006. Die Zeit der Prothesen, der Scheinrechte und Quasi-Betriebsräte, ist auch in der IT-Industrie vorbei, warum sollte man also den Ansichten von gestern treu bleiben?

Was ist Treue?
Wikipedia sagt: Treue ist eine Tugend, die auf Vertrauen und/oder Loyalität basiert. Sie drückt die Verlässlichkeit eines Akteurs gegenüber einem anderen oder gegenüber einem Kollektiv aus, ist aber nicht unbedingt ein Indikator dafür, dass sie einen würdigen Gegenstand hat. Aha! Treue ist für sich genommen zwar positiv. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber verknüpft, ob auch das Objekt der Treue positiv zu beurteilen ist. Wenn sich - wie zitiert - 'die IT-Branche selbst treu bleibt', dann steht es uns in diesem Kontext durchaus frei, das hinsichtlich Arbeitnehmerrechte und betrieblicher Mitbestimmung als eine negative Aussage aufzufassen. Einer ungünstigen Einstellung treu zu bleiben hat etwas störrisches, unbelehrbares an sich.

Frage: Ist die Belegschaft der SAP AG jetzt der IT-Branche untreu geworden? Am Ende gar erfolglos der Gewerkschaft unterlegen? NEIN. Die Panikmache und Verlagerungsrufe aus der Chefetage sind schlicht verpufft. Die Belegschaft hat sich trotz Schelte aus der Top-Ebene einen Betriebsrat gewählt. Einen BR, der sich sachkundig macht und wild entschlossen ist, die Rechte der Belegschaft in Fortsetzung der SAP-Kultur zu wahren. Am 28. Aug. 2006 berichtet das "Handelsblatt": SAP - Der Softwarekonzern hat seine Position in der Spitzengruppe der ertragsstärksten Konzerne Deutschlands erfolgreich verteidigt. Na also - es geht doch.

Halten wir fest
Ein Betriebsrat stellt die Wirtschaftlichkeit nicht in Frage. Wie wir alle wissen, ist eine verbindlichere, demokratische und mit Fakten gesicherte Kommunikation stets die Grundlage für eine verbesserte Information und damit die Grundlage für ein verbessertes Klima für Innovationen. Und Innovationen sind der Motor der Wirtschaft! Da kann die IT-Branche wieder mal von SAP lernen! Will sich die IT-Branche treu bleiben oder morgen noch wirtschaftlich sein?

Wir wünschen den BR-Initiatoren bei AVM einen zweiten und diesmal einen erfolgreichen Anlauf.

Letzte Änderung: 21.03.2013