Sommerliche Merkwürdigkeiten

Etwas nachdenken kann helfen

20.07.2006 "Ein Betriebsrat kostet Geld" sagt Gerrick von Hoyningen-Huene, Arbeitsrechtsexperte der Universität Heidelberg

Und diese Erkenntnis reicht schon aus, um der dpa eine Meldung wert zu sein? Merkwürdig.

Erstens: Wenn die Presse nimmt, was sie kriegt - koste es, was es wolle - dann sind wir meist in einem "Sommerloch". Gibt es keine Nachrichten, werden oftmals welche erzeugt.

Zweitens: Wenn ein besonderes Merkmal (oder eine besondere Fähigkeit) eines Menschen andere Merkmale überstrahlt, wenn also ein Merkmal geeignet ist, den Beurteiler so zu blenden, dass er nicht mehr zu einer differenzierten Beurteilung in der Lage ist, nennt man das einen "Halo-Effekt".

Wenn diese beiden Phänomene, "Das Sommerloch" und "Der Halo-Effekt" zusammenfallen, dann können leicht weitere Merkwürdigkeiten entstehen.

Beispiel aus der heutigen Presse:
Erstens: Das derzeitige Sommerloch ist kaum zu übersehen. Die Zeitungen werden dünner. Aber nicht nur die Anzahl der gedruckten Seiten nimmt ab, auch die ausgewählten Themen werden flacher. Nicht selten tendiert auch der Informationsgehalt der einzelnen Artikel gegen Null.

Zweitens: Über die dpa macht sich ein Arbeitsrechtsexperte betriebswirtschaftliche Gedanken. Dabei überstrahlt das Wort "Experte" offensichtlich die betriebswirtschaftlichen Überlegungen eines Arbeitsrechtlers - typischer Fall von Halo-Effekt.

Hallo, und dann passiert's: Über die dpa lässt uns Prof. Gerrick v. Hoyningen-Huene / Heidelberg wissen, dass der SAP AG durch die Betriebsratswahl möglicherweise millionenschwere Belastungen ins Haus stehen (siehe Link "DieWelt" und "Heise-Ticker"). Oh wie neu, welch bahnbrechende Erkenntnis, dass 37 Betriebsratsmitglieder nicht umsonst arbeiten! Gänzlich auf den Leim gehen würden wir, wenn wir denkbare Belastungen der Bilanzen durch ausführliche Berechnungen teilweise oder ganz bestreiten wollten. Es ist eine Binsenweisheit, dass ein Betriebsrat u.a. auch Kosten verursacht, in einem Großbetrieb mit 11.000 MitarbeiterInnen sogar erhebliche. Aber diesen Kosten stehen doch wohl positive Effekte gegenüber - oder etwa nicht? Findige Betriebswirte nennen sowas "Kosten-Nutzen-Rechnung".

Auch das Auftanken eines Autos kostet Geld - aber sollten wir deshalb davon Abstand nehmen?

Weitere Merkwürdigkeit am Rande
Hat denn dem Rechtsexperten eigentlich keiner erzählt, dass die SAP AG bei standardmäßigem Verhalten 81 Betriebsratsmitglieder haben müsste? Wenn in allen 11 BR-fähigen Standorten Deutschlands ein eigener Betriebsrat gewählt worden wäre, käme neben den 81 BR-Mitgliedern auch noch ein Gesamtbetriebsrat hinzu! So aber, mit einem einzigen zentralen Betriebsrat in Walldorf für ganz Deutschland sind es nur 37 Mitglieder. Bei der Berechnung in der dpa-Meldung bleiben aber die Kosten für die SAP AG gleich, weil die Belegschaftsstärke gleich bleibt. So gesehen ist ein BR-Mitglied je Mitarbeiter bei der jetzt gefundenen SAP-Lösung teurer, als wenn man die Standardlösung "Ein Betrieb = Ein Betriebsrat" genommen hätte. Haben jetzt die SAP-Mitarbeiter gar etwas falsch gemacht? Und apropos Belegschaftsstärke: Es waren 10.900 wahlberechtigte ArbeitnehmerInnen und nicht, wie v.Hoyningen-Huene angenommen hat, 14.000 Auffällig ist auch: Bei den Kosten rechnet der Experte in Cent und Euro, bei den Auswirkungen auf das soziale Klima mutmaßt er nur sehr vage. Ergebnis dieser merkwürdigen Betrachtungsweise: Es wird gewarnt!

Nicht gewarnt wird vor dem Jahreseinkommen des SAP-Vorstandvorsitzenden, das bewegt sich aber in der gleichen Größenordnung wie die über den Daumen kalkulierten Aufwändungen für 37 Betriebsratsmitglieder. Nicht berechnet wird auch, dass sich unter den am 21. Juni '06 gewählten Betriebsratsmitgliedern bereits freigestellte AnrbeitnehmervertreterInnen im Aufsichtsrat befinden. Werden die jetzt 2mal freigestellt? Hr. v. H-H. beschäftigt sich offensichtlich nicht mit Peanuts; dann hätte er aber gleich seine Erkenntnisse für sich behalten können.

Es geht um konstruktive Kooperation
Bei einer Betriebsratswahl geht es doch nicht um Euro oder darum, ob sich eine Firma die dadurch möglicherweise entstehenden Kosten noch leisten kann - was bei der SAP AG wohl außer Frage steht. Es geht um gelebte innerbetriebliche Demokratie! Um eine gleichberechtigte Art der Kommunikation zwischen oben und unten. Es geht um mehr Transparenz über die innerbetrieblichen Entscheidungsprozesse und um mehr Mitsprache der Betroffenen über die geplanten Personalmaßnahmen. Dieser Ausgleich zwischen "abhängig Beschäftigten" und Arbeitgeber dient dem in der Bundesrepublik bestehenden Modell des "sozialen Friedens" im Rahmen der sog. sozialen Marktwirtschaft! Das alles sind Werte, die wir unserem Staat aus bitterer Erfahrung mit anderen Staatsformen ins Grundgesetz geschrieben haben. Und deshalb reicht die Regierung auch diese Art des demokratischen "Miteinanders" über die Betriebsräte an die Unternehmungen zurück. Können wir uns die Mitbestimmung - oder besser - wollen wir uns diesen partnerschaftlichen Ansatz, diese konstruktive Kooperation nicht mehr leisten? Hat der Arbeitsrechtsexperte mal durchgerechnet, was das kostet, wenn die Kommunikation zwischen Belegschaft und Vorstand stockt? Wieviel Milliarden Euro verschlingt eine Vertrauenskrise in einem Großkonzern?

Gerade wir Deutschen konnten in der Vergangenheit lernen, wie trügerisch billig andere Staatsformen erscheinen können. Apropos Vertrauenskrise und Betriebskapital: Siehe den Link Enron, Worldcom . . .

Letzte Änderung: 21.03.2013