Knorr schiebt Haldex-Deal weiter hinaus
Am 19.04.2017 nach Börsenschluss hat der Knorr-Vorstand bekanntgegeben, man habe bei der schwedischen Börsenaufsicht "Swedish Securities Council (SSC)" einen Antrag auf weitere Verlängerung der Übernahmefrist für den Konkurrenten Haldex bis 26.09. eingereicht. Direkt davor hatte man sich auch mit dem Haldex-Vorstand getroffen. Allerdings sieht das schwedische Aktienrecht einen längeren Zeitraum als neun Monate nicht vor. Dies hat es auch noch nie gegeben. Der Haldex-Vorstand erwartet trotzdem, wie er den Beschäftigten mitgeteilt hat, dass die Ausnahme-Genehmigung noch im April erteilt werde.
Bis jetzt hat Knorr-Bremse bei den europäischen Kartellbehörden weiterhin keinen offiziellen An-trag auf Genehmigung des Erwerbs von Haldex gestellt. (86 Prozent der Aktien sind seit Dezember Knorr-Bremse "angedient".) Die derzeitige Frist für eine Übernahme würde am 16. Juni ablaufen. Laut Haldex-Vorstand gilt: Einmal eingereicht, hat die europäische Kommission "35 Arbeitstage", dann muss sie ihre Entscheidung über einen Antrag verkünden. Knorr-Bremse hätte also nur noch bis 28.04. (sieben Wochen vor 16.06.) Zeit, eine Übernahme offiziell zu beantragen. Um dies zu umgehen wurde nun eine dritte Verlängerung bis 26.09. in die Wege geleitet. Presseorgane sprechen von "Gegenwind bei Haldex-Übernahme" (Handelsblatt, 19.04.) und "Haldex-Deal wackelt immer stärker" (Finance Magazin 20.04.). Laut Knorr-Bremse sei "Hintergrund des Antrags", dass die "Chancen einer Kartellfreigabe zu vertretbaren Bedingungen für Knorr-Bremse deutlich verbessert werden, wenn mehr Zeit gewährt werde", auch um "mögliche Maßnahmen für etwaige Auflagen vorzubereiten" (DGAP-Finanznachrichten, 19.04.17).
Betriebsrat und IG Metall Heidelberg weiter skeptisch
Betriebsrat und IG Metall Heidelberg sehen eine Ausdehnung der Übernahmefrist auf 12 Monate mit Skepsis: Wenn Knorr-Bremse als Begründung anführe, man wolle den Kartellbehörden "um-fangreichere und detailliertere Informationen zur Verfügung stellen", stelle sich die Frage, was man in den inzwischen gelaufenen sieben (!) Monaten gemacht hat. Eine andauernde Hängepartie und Unsicherheit kann nur zu weiterer Schwächung von Haldex führen, nachdem schon im vierten Quartal 2016 erstmals seit Jahren wieder Verlust geschrieben wurde - für Knorr-Bremse allerdings eine willkommene Erscheinung.
Die neuerliche Maßnahme von Knorr-Bremse bestärkt Zweifel, ob der Konzern Haldex wirklich erwerben und fortführen will. Denn als Weltmarktführer, der alle acht Haldex-Hauptproduktlinien ebenfalls herstellt, braucht man den kleineren Konkurrenten nicht. Schon im Herbst 2016 wurde daher überwiegend vermutet, dass Knorr-Bremse nur eine Verbindung ZF/Haldex, also einen starken Konkurrenten verhindern wollte und deshalb ZF mit einem 580 Millionen Euro-Angebot ausgestochen hat (nachdem ZF zuvor SAF Holland überboten hatte). Dieses Ziel hat Knorr-Bremse im Dezember bereits erreicht.
Inzwischen wird der Vorsitzende des Knorr-Bremse-Vorstands, Deller, in der Presse zitiert, man werde noch mit "einigen Überraschungen" aufwarten. Am 07.04. berichtet die Zeitschrift Produktion, in Börsenkreisen werde spekuliert: "Schluckt Knorr-Bremse jetzt SAF Holland?" Die Börsenzeitung finanzen.net wiederum stellt am 13.04. fest: "SAF gilt als möglicher Käu¬fer für Haldex-Abspaltungen." Und die Schwäbische Zeitung vermutet bei ZF Ähnliches: "Der Zulieferer ZF, der noch immer rund 20 Prozent von Haldex hält, äußerte sich: 'ZF hält weiterhin einen nicht unwichtigen Anteil an Haldex, wir sind an einer positiven Entwicklung des Unternehmens in-teressiert', sagte ein Sprecher." Das Karussell scheint sich immer heftiger zu drehen. Die Gefahr für die Haldex-Belegschaften und die Arbeitsplätze wächst weiter.
Auch der Haldex-Vorstand deutet mittlerweile zumindest an, was vom Spiel von Knorr-Bremse zu halten ist. Ende März und im April hat er den Beschäftigten mitgeteilt: "Die einzig realistische Option für Haldex, eine Teilnahme an den Szenarien-Planungen (im Zusammenhang mit laufenden Fragen und Prüfungen seitens der Kartellbehörden) abzulehnen, wäre, wenn wir beweisen könnten, dass der Deal nicht passieren wird." Und: "Wir können unseren beteiligten Interessengruppen versichern, dass wir fortfahren, Haldex als eigenständiges Unternehmen mit einer Langzeit-Strategie und starker Kunden-Verpflichtung fortzuführen."
Gefahr einer Filetierung von Haldex wächst
Knorrs Hauptziel war von Anfang an klar: Eine Verbindung von Haldex mit ZF zu verhindern und dabei gleichzeitig Haldex als Konkurrenten möglichst weitgehend vom Markt zu entfernen. Laut Pressmitteilung vom 20.04. wolle Knorr-Bremse mit dem Verlängerungs-Antrag "die Einreichung bei den EU-Kartellbehörden optimieren und sicherstellen, dass die beste Vorgehensweise gewählt wird." Im Hinblick auf mögliche Kartellamts-Auflagen und -Einsprüche spricht der Vorstand schon seit einigen Zeit auch von sogenannten "Notfallplänen". Vorstandsvorsitzender Deller: "Es gibt ja auch Notfallpläne, falls ein Kernkraftwerk explodiert" (Handelsblatt, 27.03.17). Immer mehr scheint sich herauszuschälen, was das heißen könnte: Vor allem eine beabsichtigte Filetierung und Zerlegung von Haldex - indem der kleine Konzern von Knorr-Bremse unter Berufung auf Kartellamts-Auflagen und im Zusammenspiel mit ZF und SAF Holland nach Bereichen und Produktgruppen aufgeteilt und der Rest am Markt verscherbelt werden könnte.
Herauszulesen ist das auch aus einer Information des Haldex-Vorstands an die Beschäftigten Ende März: "Knorr-Bremse wird Szenarien-Planungen für sich überschneidende Produkte unserer jeweiligen Geschäftsfelder erstellen. Diese beinhalten Alternativen wie 'Beide Halten, Haldex- und Knorr-Bremse-Produkte', 'Haldex-Produkte Halten' oder 'Knorr-Bremse-Produkte Halten'. Theoretisch sollte jedes Szenario umfangreich genug sein, um das Produkt einem potenziellen externen Käufer anbieten zu können." Damit bestätigen sich auch Befürchtungen von Knorr-Bremse-Beschäftigten, dass auch sie von Auswirkungen des Haldex-Deals negativ betroffen sein könnten.
Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg haben Knorr-Bremse für den Fall einer Übernahme im Dezember ihre Forderungen übermittelt: Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte sowie der Tarifbindung und der Tarifverträge. Über 80 Prozent der tariflich Beschäftigten haben dies in der ersten April-Hälfte durch ihre Unterschrift unter eine entsprechende Erklärung nochmals bekräftigt. Eine Filetierung wird ebenso abgelehnt. Das Schreiben soll Knorr-Bremse im Mai übergeben werden.
Nicht nur wegen des Deals mit Haldex ist die tariflich nicht gebundene Knorr-Bremse seit längerem negativ in den Schlagzeilen. Neben dem Widerstand gegen die angekündigte Verlagerung von Hass & Wrede von Berlin nach Tschechien und die Ausdehnung der 42-Stundenwoche im Konzern läuft derzeit auch die Auseinandersetzung zwischen Vorstand und Konzern-Betriebsrat, wie die Entgeltanhebung aussehen soll (der IG Metall-Tarif sieht zwei Prozent ab 1. April vor).
Letzte Änderung: 25.04.2017