Die SAP AG bekommt einen Betriebsrat

SAP bekommt einen Betriebsrat

30.03.2006 Die anstehende Betriebsratswahl wird bei dem Weltmarktführer für Unternehmenssoftware eine Debatte beenden, die das Unternehmen seit seiner Gründung 1972 begleitet hat.

Die Mitarbeiter der SAP AG kamen am Donnerstag, 30.3.06 am Stammsitz in Walldorf / St. Leon-Rot bei Heidelberg zu einer 2. Betriebsversammlung zusammen, um den für die Betriebsratsgründung erforderlichen Wahlvorstand zu wählen. Dabei hat jetzt ein 9-köpfiger Wahlvorstand die erforderliche einfache Mehrheit der Anwesenden erhalten. Die gewerkschaftlich organisierten SAP-Mitarbeiter, die durch eine 1. Betriebsversammlung am 2.3.06 die Wahl eines Wahlvorstands bei den SAP-Mitarbeitern beantragt, dafür aber nicht die Mehrheit bekommen hatten und die dann anschließend durch ihren Gang zum Arbeitsgericht die ersatzweise gerichtliche Bestellung dieses Gremiums forderten, sind allerdings nicht in diesen Wahlvorstand gewählt worden.

Bei der SAP AG in Deutschland wird es damit in naher Zukunft einen Betriebsrat geben! (Anders die "Spiegel online"-Vorhersage vom 2. März '06, siehe Linkliste). Jetzt stellt sich also die interessante Frage: "Was ist in Walldorf los?" Warum mal so, mal anders?

Angeblich
Unwahrscheinlich, dass sich 9.800 SAP'ler aus Walldorf und St. Leon-Rot innerhalb von vier Wochen total umorientiert haben. Am 2.3. hatten sich 91 % von 5632 Anwesenden gegen die Wahl eines Wahlvorstands und damit indirekt gegen einen Betriebsrat ausgesprochen. Auf den heute gewählten 9-köpfigen Wahlvorstand entfielen 65 bis 83 % der Stimmen von insgesamt 3233 anwesenden SAP'lern. Damit ist der Weg zur Betriebsratswahl frei! Jetzt ist die Mehrheit der Belegschaft angeblich f ü r einen Betriebsrat, oder? Nähern wir uns mal dem Wort "angeblich".

Selbstbestimmung
Das Wort "angeblich" ist verwandt mit "vom Hörensagen", "scheinbar". Es wäre zu einfach, von einem generellen Meinungsumschwung oder gar von einem "Gesinnungswandel" zu reden. Jetzt zu sagen, dass die Mehrheit der befragten SAP'ler plötzlich für einen Betriebsrat ist, wäre verfrüht. Und es würde auch die Befindlichkeit der Walldorfer Softwarezentrale gänzlich verkennen. Heute wie damals legen die Beschäftigten des erfolgreichen Softwarehauses größten Wert auf das, was man am Besten mit Selbstbestimmung umschreiben könnte. Und wenn man selbst bestimmen möchte, hängt die Einstellung zur Betriebsratsfrage sehr davon ab, wie man die Folgen eines Betriebsrats und die Folgen der Betriebsratstätigkeit einschätzt, also über welches "Vorwissen" man verfügt! Konkret gefragt: Kann ich mit Hilfe eines Betriebsrat mehr oder weniger mitbestimmen? Hier gilt es noch sehr viel Erfahrung zu sammeln.

Wozu einen Betriebsrat?
Klar ist, dass bei einem fast 10.000 Individuen umfassenden Betrieb keine Selbstbestimmung in Reinform stattfinden kann. Die Freiheit des einen beschneidet immer die Freiheit des anderen. Auch ein 80 %iger Akademikeranteil ist kein Grund für Selbstbestimmung im reinsten Sinne des Wortes. Aber das Streben danach ist unverkennbar und das finden wir hoch interessant und gut! Große Freiheiten, gute Zukunftsaussichten, hohe Vergütung samt vorzeigbarer Nebenleistungen, sichere Arbeitsplätze usw. das meinen viele SAP-Mitarbeiter schon zu haben. Was brauchen solche Arbeitnehmer also einen Schutz durch einen Betriebsrat?

In guten wie in schlechten Zeiten
Ein Betriebsrat ist eben keine Einrichtung, die man sich zulegt, wenn die Wolken dicht gedrängt am Himmel stehen. Ein Betriebsrat ist in guten und in schlechten Zeiten erstrebenswert. Er ist unabhängig von der jeweiligen Wetterlage auch und in erster Linie ein Schalthebel, den die Belegschaft immer einsetzen kann, wenn sie Informationen aus erster Hand und wenn sie wirkungsvoll Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nehmen möchte. Ein Betriebsrat ist so gesehen gänzlich unabhängig von aktuellen Notlagen immer sinnvoll. Man kann einen Betriebsrat zur Unterstützung anrufen, muss es aber nicht, wenn alternative Wege gesehen werden! Da kommen wir dem Wunsch nach Selbstbestimmung doch schon ein ganzes Stück näher!

Mein Betriebsrat
Eine Belegschaft, die Einfluss nehmen möchte, nicht nur auf die Gestaltung ihrer Produkte, sondern auch auf das Drumherum: Wie gearbeitet wird, welche Regeln dabei gelten sollen, was verbindlich ist und was freiwillig usw., eine solche Belegschaft muss einen Betriebsrat haben! Natürlich nicht irgend einen, sondern "ihren" Betriebsrat! Denn mit den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes lässt sich gewaltig Einfluss nehmen, wenn im Betriebsrat Mitarbeiter tätig sind, die wissen, wie man mit diesem Werkzeug richtig umgeht.

Auf geht's - ProBetriebsrat
Das hat sich rumgesprochen in Walldorf und drum herum: Die SAP-Belegschaft will offensichtlich gestalten und mit einem tatkräftigen, aus den eigenen Reihen zusammengesetzten Betriebsrat wird sie auch gestalten können. Jetzt kommt es darauf an, wer in den 37-köpfigen Betriebsrat gewählt wird und wie professionell die Betriebsratsarbeit dann erfolgt.

Letzte Änderung: 21.03.2013