Bei SAP entsteht ein Betriebsrat
Der Prozess zur Bestellung eines Wahlvorstands bei der SAP AG ist eingeleitet. Drei Mitarbeiter des Softwarebetriebes in Walldorf / St. Leon-Rot haben gem. § 17 (4) Betriebsverfassungsgesetz beim Arbeitsgericht soeben beantragt, dass der Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl 2006 durch das Gericht bestellt wird.
Die IG Metall unterstützt diese Betriebsratsgründung, initiiert sie aber nicht.
Die Beweggründe der drei SAP-Mitarbeiter seien an dieser Stelle nochmals kurz im O-Ton wiedergegeben (Anschreiben von heute an die SAP-Belegschaft):
---- Rund-Mail ---- Beginn ----
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben heute den Antrag auf Einsetzung eines Wahlvorstandes zur Wahl eines Betriebsrates für den Betrieb SAP AG Walldorf/St. Leon-Rot beim zuständigen Arbeitsgericht in Mannheim eingereicht.
Dieser Entschluss ist uns angesichts des Abstimmungsergebnisses vom Donnerstag nicht leicht gefallen und wir möchten ihn Euch gerne erklären. Unser Entschluss basiert auf der Abwägung zwischen der Bedeutung Eures deutlichen Votums und unserer Grundhaltung.
Es besteht breiter Konsens, dass wir unsere Interessen als MitarbeiterInnen der Geschäftsführung gegenüber vertreten wollen. Die wesentliche Auseinandersetzung der letzten Tage drehte sich aus unserer Sicht weniger darum, ob wir Mitbestimmung wollen oder nicht, sondern um die Frage der strukturellen Ausgestaltung dieser Interessenvertretung.
Euer Votum hat sehr deutlich gemacht, dass unsere Firma keine Firma wie jede andere ist, sondern etwas ganz Besonderes. Die SAP ist deshalb etwas Besonderes, weil wir MitarbeiterInnen uns in außergewöhnlichem Maße mit ihr identifizieren und die SAP diese Identifikation bisher auch gerechtfertigt hat. Wir legen großen Wert auf Agilität und hegen eine tiefe Abneigung gegen jede Form der Bürokratisierung und der Unflexibilität. Schließlich hat sich gezeigt, dass das Thema Mitbestimmung tatsächlich uns alle zu mobilisieren vermag. Wir denken, dass alle diese gemeinsamen Werte und Erfahrungen die besten Voraussetzungen für eine aktive wahrgenommene Mitbestimmung durch uns alle darstellen.
Wir sind uns jedoch sicher, dass das Besondere unserer Firma nicht das Fehlen eines Betriebsrates ist. Ganz im Gegenteil finden wir es wenig überzeugend, Rechte, die uns gesetzlich zustehen, durch Vereinbarungen mit der Geschäftsführung zu ersetzen, zumal diese Vereinbarungen uns bisher erheblich weniger Rechte und Ressourcen einräumen, als es bei einer Interessenvertretung in Form eines Betriebsrates der Fall ist.
Wir sind der festen Überzeugung, dass der einfachste und wirkungsvollste Weg, unsere Interessen zu vertreten, in Deutschland der Betriebsrat ist. Wir müssen hier nicht das gesetzliche Rad durch vertragliche Regelungen neu erfinden. Dass der Vorstand und die Arbeitnehmervertretung jetzt nachbessern wollen, sehen wir als beste Bestätigung, dass wir den richtigen Weg einschlagen. Aus unserer Sicht bringt nur ein Betriebsrat die erforderliche Transparenz und rechtliche Absicherung unserer Interessenvertretung. Daher nehmen wir auch im Namen der fünfhundert Unterstützer unser Recht auf eine effektive Mitarbeitervertretung auf Basis des Betriebsverfassungsgesetzes in Anspruch. Darüber hinaus würden wir es als ein sehr unglückliches Signal nach außen empfinden, wenn wir als SAP einen Sonderweg der Mitbestimmung favorisieren, der deutlich hinter den gesetzlichen Möglichkeiten zurückbleibt.
In einem Betriebsrat herrscht kein Zwang zur homogenen Darstellung nach außen, und er ist auch nicht auf den Aufsichtsratsvorsitzenden als Vermittler festgelegt, wie es sich unsere jetzige Arbeitnehmervertretung selbst auferlegt hat. Ein Betriebsrat kann auf Verlangen Einsicht in die Bruttolohnlisten erhalten, um zu überprüfen, dass unsere Entlohnung gerecht ist, z.B. ob Frauen und Männer gleich entlohnt werden. Ein Betriebrat ist nicht möglicher Ansprechpartner von gekündigten Mitarbeitern, sondern jede Kündigung, bei der der Betriebsrat nicht zuvor angemessen informiert wurde, ist unwirksam. Ein Betriebsrat ist kein Schlechtwettergremium, sondern ist aufgefordert, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Selbständigkeit und Eigeninitiative der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
Angebote der Geschäftsführung, die Kompetenzen unserer Interessensvertretung über die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus zu erweitern, würden wir selbstverständlich sehr begrüßen.
Wir können Eure Ängste und Befürchtungen hinsichtlich eines bürokratischen Eigenlebens eines Betriebsrates gut verstehen. Allerdings teilen wir sie nicht, ja, wir sind vom Gegenteil überzeugt, weil wir an unsere SAP-Kultur glauben und auch ein Betriebsrat Teil dieser Kultur sein wird. Wir werden versuchen in der nächsten Zeit Infoveranstaltungen zu organisieren, in denen Betriebsräte anderer Unternehmen über eine positive, vertrauensvolle, notfalls aber auch konfliktfähige Zusammenarbeit mit ihrer Unternehmensleitung berichten werden.
Wie die Diskussionen der letzten Tage gezeigt haben, verfügen wir bei SAP über eine außergewöhnlich engagierte Mitarbeiterschaft. Wir fordern Euch daher auf, ganz im Sinne Dietmar Hopps, Euch an der Ausgestaltung des wichtigen Instrumentes Betriebsrat aktiv zu beteiligen.
Mit freundlichen Grüßen,
(Namen der drei Einreicher)
---- Rund-Mail ---- Ende ----
Auf einer von drei SAP-Mitarbeitern einberufenen Betriebsversammlung hatten sich immerhin gut 500 Mitarbeiter von 5600 für die Errichtung eines Betriebsrats ausgesprochen. Gesetzlich notwendig für die Bestellung des Wahlvorstands sind 3 Mitarbeiter.
Einen Betriebsrat zu gründen ist nicht gesetzeswidrig, sondern es ist ein demokratischer Akt. Gerade ein Unternehmen wie die SAP AG, die sich eine offene, faire Kommunikation auf die Fahnen geschrieben hat und in ihren Geschäftsgrundsätzen alle SAP-Beschäftigten zur "Rechtstreue" verpflichtet, sollte stolz sein auf Mitarbeiter, die sich demokratisch und engagiert in die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen einbringen.
Wichtig ist uns an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ein Betriebsrat immer nur aus Mitarbeitern der Belegschaft besteht. Betriebsfremde Personen sind nicht zugelassen. Das Arbeitsgericht Mannheim bestellt ggf. (auf Antrag) einen Wahlvorstand zur Einleitung und Durchführung der BR-Wahl. Die Wahl des Betriebsrats selbst ist natürlich Angelegenheit der SAP-Belegschaft. Von Fremdbestimmung kann also keine Rede sein.
Dass das Thema politisch schon weit über SAP hinaus getragen wurde, zeigen die Äußerungen des BDA-Präsidenten Hundt in der "DieWelt.de" vom So, 4. März 2006.
Wir sind dagegen der Meinung, dass das Betriebsverfassungsgesetz, die aktuelle gesetzliche Basis, unverändert bleiben muss, um Betriebsräte ausschließlich von den Beschäftigten wählen zu lassen.
Letzte Änderung: 21.03.2013