Betriebsrat organisiert Selbsterfahrung

Meine Zeit ist mein Leben

19.02.2006 Arbeiten ohne Ende - Bericht über die Veranstaltung der IG Metall: Meine Zeit ist mein Leben "im HARRES - St. Leon-Rot"

Am Freitag, den 17.2.06 haben sich im Harres, St. Leon-Rot, interessierte ArbeitnehmerInnen unterschiedlicher Unternehmen zu einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch über die Verdichtung und Beschleunigung der Arbeitsprozesse - insbesondere in der ITK-Industrie - zusammen gefunden. Einladender und Gastgeber der öffentlichen Veranstaltung "Meine Zeit ist mein Leben" war Mirko Geiger, Geschäftsführer der IG Metall Heidelberg.

STÄNDIGE VERFÜGBARKEIT

Zu Beginn der Veranstaltung berichtete der Betriebsratsvorsitzende der IBM-Niederlassung in Düsseldorf, Wilfried Glißmann, über die vielfältigen Aktivitäten seines BR-Gremiums, die immer mehr ausufernde Arbeitszeit wieder auf ein erträgliches Maß zurück zu drängen. Besonders die ständige Verfügbarkeit der PCs und der mobilen Kommunikationsmittel in der Arbeit, beim Kunden, unterwegs und in der häuslichen Wohnung führt bei sinkendem Personalstand und bei international agierenden Unternehmen leicht und immer häufiger dazu, die Arbeitszeit über das erträgliche Maß hinaus auszudehnen. Die Work-Life-Balance ist für die meisten Beschäftigten der ITK-Branche völlig aus dem Lot.

ENDE DER STELLVERTRETERPOLITIK

Wichtig für eine Erfolg versprechende Aktivität war in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die oft anzutreffende Stellvertreterpolitik einer Arbeitnehmervertretung bei "sich selbst unter Druck setzenden ArbeitskollegInnen" ins Leere läuft. Absolut notwendig ist in diesen Fällen die Schaffung einer Vertrauenskultur zwischen Betriebsrat und Belegschaft, wenn man "der Arbeit wieder ein Maß geben" will. Man muss ein Klima zu schaffen, dass es erlaubt, sich der schleichend verschärfenden strukturellen Einflüsse in der Arbeitswelt bewusst zu werden. So genannte Sachzwänge wie z.B. "Personalreduzierung", "Vertrauensgleitzeit", "Zielvereinbarungen" konnten auf diese Weise häufig als interessengesteuerte Rahmenbedingung entpuppt werden.

WECHSELWIRKUNG

Aufklärung tut Not

Eine sich selbst anstachelnde Belegschaft muss durch Organisation von vielschichtigen Selbsterfahrungsprozessen das eigene Verhalten in Frage stellen lernen. Es muss ihr selbst bewusst werden, dass jedes Arbeitszeitverhalten des Einen, automatisch und oftmals unbewusst, Maßstäbe für die Leistungsanforderung anderer MitarbeiterInnen setzt. Besonders wichtig war es in diesem Zusammenhang, die ganze Palette der Instrumente des Betriebsrats aus dem Betriebsverfassungsgesetz der Belegschaft zur Selbstfindung und zur Eindämmung der Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen.

BETRIEBSRAT ALS INFORMATIONSBASIS

Dazu gehört die Einforderung und die Erstellung sowie die Verteilung von statistischem Material und die Diskussion darüber mit den Betroffenen, das Abhalten zahlreicher, ausführlicher Einzelgespräche und die anonymisierte Weitergabe der betriebsrätlichen Erkenntnisse aus diesen Gesprächen über die aus dem grenzenlosen Arbeitseinsatz resultierenden Folgen. Durch die über Jahre laufende Kampagne "Arbeiten ohne Ende", die von der Gewerkschaft wissenschaftlich begleitet und unterstützt wurde, konnte es erreicht werden, eine breite Diskussion über das eigene Arbeitszeitverhalten und teilweise auch erhebliche Kurskorrekturen in Gang zu setzen.

IN UND UM HEIDELBERG

Die anschließende rege Diskussion zeigte, dass die dargestellten Probleme und Erfahrungen mit den daraus resultierenden Stressmerkmalen in weiten Bereichen auch bei der in St. Leon-Rot und in Walldorf beheimateten SAP existent sind. Allerdings ist hier die Belegschaft nicht in der Lage, das Betriebsverfassungsgesetz für sich wirkungsvoll zu nutzen, da ein Betriebsrat bisher nicht existiert.

Letzte Änderung: 21.03.2013