Gespräch mit P. Klinis zur Schuldenkrise

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22.02.2013 Heidelberg - Der OJA Rhein-Neckar hat sich auf seinem letzten Seminar mit der europäischen Schuldenkrise und die direkten Auswirkungen auf die europäischen Arbeitnehmer beschäftigt.

Heidelberg - In einem Interview mit dem ehem. 1. Bevollmächtigen Pat Klinis, wollten die jungen IG Metaller die Faktenlage überprüfen. Dieses Interview kann jetzt auch nachgelesen werden. Die IG Metall wünscht bei der umfangreichen Lektüre viel Spass und vielleicht noch einige neue Erkenntnis.

OJA RN fragt:

Die IG Metall Ortsjugendausschüsse Mannheim und Heidelberg haben sich auf ihrem letzten Seminar mit der Krise in Griechenland beschäftigt. Dabei ist uns aufgefallen, dass vieles, was in den Medien über Griechenland und die Krise berichtet wird, sehr lückenhaft und manchmal sogar falsch ist. Daher würden wir gerne einige Aussagen mit Dir überprüfen.
Würdest Du der Aussage zustimmen, dass die Griechen für ihre Situation selber verantwortlich sind?

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Pat Klinis:

Nein, so einfach würde ich es mir nicht machen wollen. Natürlich haben die Griechen auch einen erheblichen Anteil Schuld, aber wenn man die Vorgeschichte betrachtet, wenn man diese Ratingagenturen sieht, wenn man sieht wie auf einmal künstlich die Zinsen hochgeschraubt worden sind sieht man, dass es zusätzlich viele weitere Gründe für die derzeitige Situation gab. In dieser Gemengelage ist vieles entstanden, was die Griechen alleine nicht mehr bewältigen konnten und nun viele Menschen jetzt darunter leiden, die zu dieser Situation am wenigsten beigetragen haben. Im Gegenteil: sie zahlen eine Zeche, für etwas was ihnen weder vorher noch im Nachhinein Vorteile bringt oder bringen wird.


OJA RN fragt:

In der medialen Darstellung werden die Griechen als nicht besonders strebsam bzw. sogar als faul bezeichnet. Wenn man aber die durchschnittliche Arbeitszeit von Griechenland und Deutschland vergleicht, kann man feststellen, dass die Deutschen sogar 3,3 Std. weniger als die Griechen in der Woche arbeiten. Da passt ja was nicht zusammen. Du kennst Dich in Griechenland aus, wie siehst Du die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort?

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Pat Klinis:

Ich will es mit einem Beispiel verdeutlichen. Die Tochter von Bekannten, war als Flugbegleiterin bei Olympic beschäftigt. Sie hatte ein relativ gutes Einkommen. Als Qlympic geschlossen hat, war sie 1 ½ Jahre arbeitslos. Der Staat hatte den Beschäftigten zugesagt, dass sie Ersatzarbeitsplätze bekommen. Sie bekam einen Arbeitsplatz im Kultusministerium. Sie arbeitet von 7.30 h bis 17.00 h mit Mittagpause und bekommt 730 Euro brutto. Sie lebt weiterhin mit 31 Jahren bei den Eltern. Ein anderes Leben kann sie sich nicht leisten.
Eine Wohnung in Athen ist nicht viel billiger ist als in der Umgebung von Heidelberg. Die Mieten sind ähnlich hoch und das kann man sich dann nicht mehr leisten.
Es ist also eine Frage des Einkommens und der Arbeitszeit. Vielen Menschen geht es gerade in den Städten so.

Ich habe einen Artikel in einer deutschsprachigen Griechischen Zeitung veröffentlicht. "Die Sorgen um die kleine Zukunft" war die Überschrift. Es geht in dem Artikel um eine Familie, die aufgrund der wirtschaftlichen Situation aus der Wohnung geworfen wird. Diese Familie waren direkte Nachbarn von uns und hatten einen kleinen Jungen, den wir sehr gut kennen.
Der Vater hat keine Arbeit und die Mutter hat auch ihre Arbeit verloren. Der Vater ist zurück zu seinen Eltern ins Dorf und die Mutter mit dem Kind zu ihren Eltern ins Dorf. Es war vorübergehend geplant bis sich die Situation wieder verbessert; Es ist jetzt 9 Monate her und sie leben immer noch getrennt. Es gibt einfach zu wenige Arbeitsplätze für die Menschen in Griechenland.


OJA RN fragt:

In Griechenland ist der öffentliche Dienst oder der staatliche Sektor recht groß ist im Verhältnis zu dem wirtschaftlich produzierenden Sektor. Dieses Missverhältnis kennen wir auch aus England oder eben auch aus anderen Staaten der europäischen Union. In Deutschland kann man sagen, das das Verhältnis zwischen den Bereichen noch stimmt. Dieses Missverhältnis zwischen staatlichem und privatwirtschaftlichem Sektor ist von den Griechen nicht gewollt gewesen. Wie ist es dazu gekommen, dass es so wenige Arbeitsplätze im produzierenden Bereich gibt?

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Pat Klinis:

Griechenland ist arm an Industrieproduktion. Um die Zahlen in etwa verstehen zu können folgendes: Deutschland hat einen Anteil von ca. mehr als 30 % produktive Tätigkeiten und ca. 70 % Dienstleistungen. In Griechenland - was Dienstleistungen angeht - liegt der Anteil bei ca. 94 %. Und natürlich ist der Staat als solcher aufgebläht worden. Dabei haben sich die Verantwortlichen sicher nicht alle ganz astrein verhalten. Dadurch ist der größte Teil der Beschäftigten in Bereich der Dienstleistung tätig. Allerdings spielt der Tourismus natürlich bei den Dienstleistungen auch eine Rolle. Zum Beispiel die Landwirtschaft wurde auf Betreiben der EU minimiert und damit ist eine Situation entstanden, die die Landflucht begünstigt hat. Die Menschen kamen nach Athen oder Thessaloniki, um dort einen Job zu bekommen. Der Tabakanbau war relativ schnell erledigt. An der griechischen Baumwolle war auch nicht mehr viel zu verdienen. Man hat daraufhin mit Subventionen versucht, manches auszugleichen und hat damit einen aufgeblähten Apparat bekommen, der viele Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe oder im Staatsdienst aufgenommen hat. Aber daneben gab es fast nichts mehr, wo man beschäftigt werden konnte.


OJA RN fragt:

Jetzt hattest Du gesagt, dass Fehler der Politik innerhalb der letzten Jahre oder Jahrzehnte sich ein Stück weit widerspiegeln. Wenn man in Deutschland über Angestellte oder Beamte in der öffentlichen Verwaltung spricht, taucht öfter mal das Wort Korruption auf. Ist es wirklich so, dass ein großer Teil der Leute, die im Staatsdienst beschäftigte sind, sich nicht so sauber verhalten?

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Pat Klinis:

JEIN, das Problem Griechenlands sind nicht nur die Politiker, die korrupt sind, sondern auch sehr viele Menschen, die nicht ordnungsgemäß ihre Steuer bezahlt haben. Aber ich sage es mal als Beispiel, man kann viele Dinge anprangern, man sollte ab und an aber auch vor der eigenen Haustür kehren.

Gestern (07.02.2013)schrieb die Rhein-Neckar-Zeitung: "9 Millionen arbeiten schwarz". Dieses Thema ist im hinteren Teil der Zeitung gedruckt nicht auf der Titelseite. Ich weiß nicht, wie viel Menschen dies lesen und ob die Bild-Zeitung so etwas zur Schlagzeile machen würde, aber 9 Millionen Schwarzarbeiter ist schon ein erheblicher Anteil und auch wenn sie zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit dies tun, bei 3 Millionen Arbeitslosen, da läuft auch hier manches nicht richtig.

Was für mich wichtig ist, und evtl. auch für Deutschland Auswirkungen haben wird, sind die gesetzlichen Regelungen, die erlauben jetzt auch in Deutschland sogenannte "1-Mann-Betriebe" zu gründen. Das wird auch in Deutschland mit Sicherheit die Schwarzarbeit erhöhen. Denn der 1 Mann-Betrieb kann nicht so kontrolliert werden, wie ein Unternehmen, wo der Betriebsprüfer kommt. Das wurde auch in Griechenland praktiziert, wo viele, damit versucht haben, über die Runden zu kommen. Die Abführung der MwSt. ist in solchen Betrieben zweitrangig, Und zur Überprüfung fehlte die effektive Kontrolle.

Die Korruption hat auch eine zweite Seite, die größten Geber von Schwarzgeld waren deutsche Unternehmen. Es gibt immer noch einen Rechtsstreit mit Siemens. Dieses Unternehmen hat sich bereits bereiterklärt über 3 Millionen an Strafe zuzahlen, um nicht verfolgt zu werden. Allerdings gibt es immer noch einen offenen Fall. Ein Geschäftsführer in Athen, der in den Fall verwickelt war und auch deutsche Staatsangehörigkeit hat, ist nach München geflüchtet. Er ist hier zu einem Geldbetrag verurteilt worden und Deutschland liefert ihn nicht nach Griechenland aus, obwohl man weiß, dass er sehr vieles mit Deutschen, sprich Siemens AG gemacht hat. Siemens war übrigens Staat im Staat in Griechenland, sowohl in der Telekommunikation als auch im Verkehrswesen.

Die deutschen Werften haben Aufträge bekommen, für die sie viel Schmiergeld haben zahlen müssen. Hier muss man über mehr als nur über Korruption sprechen.

Der internationale Flughafen von Athen ist einer der teuersten Europas, weil Hochtief die meisten Gebühren verlangt hat. Hochtief hat diesen Flughafen gebaut und es gab nach meinen Informationen günstigere Anbieter, aber man hat sich für die "gute deutsche" Qualität entschieden.

Deshalb wenn man von Korruption in Griechenland spricht, darf man eines nicht vergessen. Bis vor ein paar Jahren waren Schmiergeldzahlungen ins Ausland als Betriebsausgabe steuerlich anerkannt, deshalb sollte man in Deutschland nicht so viel über Korruption reden.


OJA RN fragt:

Von der Troika werden der griechischen Gesellschaft immer mehr Sparprogramme auferlegt. Es wurden sogar Gesetze erlassen, die die Tarifautonomie der griechischen Gewerkschaft angreifen. Bringt diese Politik Griechenland wirklich aus der Krise?

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Pat Klinis:

Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Griechenland ist mit diesen Programmen noch tiefer in die Schuldenkrise gerutscht, weil Menschen, mit einem relativ niedrigen Einkommen, ihr ganzes Einkommen zum Einkaufen, zum Überleben benötigen. Wenn man dies kürzt, resultiert daraus, dass viele Betriebe, viele kleine Geschäfte keine Arbeit mehr haben.

Zum Zweiten, es gab in Griechenland einen Mindestlohn, der zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart wurde. Der Staat hat diesen Mindestlohn lediglich ratifiziert. Dieser betrug 780 Euro. Dieser wurde reduziert. Für Menschen über 25 Jahre auf 580, und für Menschen unter 25 Jahre auf 480 Euro. Eine katastrophale Entwicklung, die sofort Auswirkungen hatte. Da nun das Geld bei den Menschen fehlt, schließen immer mehr kleine Läden und es kommt zu immer mehr Arbeitslosigkeit. Das passiert aber nicht nur in Griechenland auch in Portugal, Spanien und Italien.


OJA RN fragt:

Dann kommen wir zum nächsten großen Problem, was wir ausgemacht haben. Der OJA besteht ja in Heidelberg und Mannheim aus vielen jungen Menschen. Gott sei Dank hat der Großteil eine Ausbildung oder im Betrieb eine Beschäftigung. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Griechenland ein Riesenproblem, weil dort auch in Spanien, Italien und Portugal viele junge Leute wirklich keine Perspektive mehr im Land haben, obwohl sie sich anstrengen, obwohl sie eine gute Ausbildung gemacht haben, obwohl sie studiert haben und man spricht von der verlorenen Generation, die da heranwächst.
Inwiefern siehst Du, dass man hier auf jeden Fall was machen müsste, um die langfristigen Folgen für diese Generation für diese Länder jetzt umzukehren?

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Pat Klinis:

Vorgestern flog ich in der gleichen Maschine zurück nach Deutschland wie auch eine junge Frau. Sie hat in England Biologie studiert, ihren Doktor gemacht und arbeitet mit einem Zeitvertrag in einem Forschungszentrum in Griechenland. Sie flog weiter nach Amerika in ein dortiges Forschungszentrum, um etwas zu überprüfen. Sie arbeitet in der Grundlagenforschung und erzählte, dass sie sich in den USA nach einem anderen Job umschauen wollte, da sie sich dort eine bessere Perspektive verspricht.

Ich kenne viele junge Leute, und nicht nur junge Leute auf Arbeitssuche, sondern auch wissenschaftlich ausgebildete, die ihr Land verlassen oder verlassen wollen. Es ist eine Katastrophe, wenn sich junge Menschen in diesem Alter, die was leisten können für ihr Land, ob sie studiert haben oder nicht, weggehen und lassen das Land den noch jüngeren die noch auf Leistungen vom Staat angewiesen sind, oder die älteren, die nicht mehr die Innovation einbringen können zurück. Es ist eine schwierige Situation. Griechenland hat über 50 % Jugendarbeitslosigkeit, es gibt immer noch Menschen, die sich weigern zu heiraten, weil sie das Geld nicht haben.

Ich kenne in unserer Umgebung mehrere junge Leute, die sagen: "Wieso sollten wir heiraten? Wie sollten wir es finanzieren? Was machen wir wenn auch noch ein Kind kommt?" Sie bleiben lange, lange bei ihren Eltern im Haus, weil sie ein eigenständiges Leben nicht finanzieren können.

In dieser Hinsicht müsste die europäische Union manches unternehmen, um die jungen Leute vor Ort beschäftigen zu können, damit sie eben nicht nach ihren Ausbildung nach Deutschland, Frankreich oder England gehen.
Wenn man nicht will, dass Europa am Ende eine Schieflage bekommt, dass die Nordländer die gesamte Intelligenz angehäuft haben und die Südländer in der Urlaubszeit die Kellner spielen, dann muss man jetzt etwas unternehmen. Hier sehe ich eine ganz große Gefahr.


OJA RN fragt:

Kommen wir mal zu uns nach Deutschland. Deutschland ist der Wachstumsanker für die europäische Union. Wenn man allerdings genauer hinsieht, ist auch hier nicht alles in Ordnung. Wir haben zwar Arbeit, aber auch einen sehr großen Niedriglohnsektor. Wir haben zwar ein Sozialsystem, aber die Anzahl der von Armut betroffenen Deutschen, steigt stetig. Die wenigen Reichen werden immer reicher. Welchen Themen sollten wir uns selber zuwenden, anstatt ständig gute Ratschläge in Europa zu erteilen?

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Pat Klinis:

Gegen gute Ratschläge würde ich mich nicht wehren. Aber sie müssen auch passen. Die Themen, die für unsere Jugend hier wichtig wären sind. Zum Beispiel das Thema: Mindestlohn. Wir haben einen großen Anteil, auch Jugendliche, die über Leihfirmen auf Niedriglohniveau arbeiten. Das ist etwas, was die Gewerkschaften insgesamt angehen muss. Aber da muss auch die IG Metall noch stärker und noch deutlicher werden.
Bildung ist ebenfalls ein Thema. Nicht nur für die Elite. Bildung für alle! Gerade für unsere Kolleginnen und Kollegen.
Arbeit hier im Land zu halten, ist ebenfalls ein großes Thema. Immer wieder wandern Betriebe ins Ausland ab. Wir werden doch nicht nur ein Wissenschaftsstaat sein können. Wir brauchen auch Tätigkeiten für die Leute, die eben "nur" eine Ausbildung gemacht haben. Was diese Themen angeht, seid ihr eigentlich gut positioniert, sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenbereich der IG Metall.
Der Mindestlohn ist etwas, was wir nicht nur für das aktuelle Einkommen der Menschen brauchen, sondern auch mit Blick auf die Zukunft, wenn man Rentner wird; sprich: Altersarmut.
Ich habe zwei Töchter, ich denke, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss verbessert werden.
Ich halte es für heuchlerisch, wenn man sich beklagt, dass die Geburtsraten niedrig sind, wenn man Frauen nicht die Möglichkeit gibt, nach der Geburt eines Kindes, wieder normal arbeiten zu können.
Man ist nicht mehr im vorigen Jahrhundert, wo man sagte, die Frau soll zu Hause bleiben. Die Frauen wollen selbstständig leben können, und wollen sich auch entsprechend in der Gesellschaft positionieren.

Deshalb denke ich, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsste auch für die IG Metall Jugend ein Thema sein - wie gestalte ich es so, dass beide Partner davon profitieren und weiterkommen können.


Pat, wir danken dir für das Gespräch.

Letzte Änderung: 15.03.2013