86% der Arbeitnehmer wollen höhere Löhne

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14.09.2010 Von der guten Konjunkturentwicklung sollen auch die Arbeitnehmer profitieren, sagen die Gewerkschaften, und fordern spürbare Lohnerhöhungen. Die Ökonomen sind uneins.

Frankfurt/Main (dpa) - IG-Metall-Chef Berthold Huber hat mit Blick auf den wirtschaftlichen Aufschwung harte Tarifverhandlungen angekündigt, Wirtschaftsminister Brüderle mahnt eine "intelligente" Tarifpolitik an. Huber sagte in Frankfurt: "Höhere Löhne sind gerecht und vernünftig. Sie sind gut für die Menschen und für die Konjunktur", sagte Huber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Damit trifft der Gewerkschafter natürlich den Nerv der Beschäftigten.

In einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Senders RTL meinen 86 Prozent der befragten Arbeiter und Angestellten, sie hätten eine Lohn- bzw. Gehaltserhöhung verdient. Dabei könnte sich die Mehrheit ein Plus von drei bis fünf Prozent vorstellen. Und: Drei Viertel der Befragten halten Demonstrationen und Streiks für gerechtfertigt, wenn Firmen, die nach der Krise wieder hohe Gewinne machen, keine höheren Löhne zahlen wollen.

Unterstützung kommt von einem prominenten Ökonomen. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ermuntert die Gewerkschaften zu kräftigen Lohnforderungen. "Wir sind stark, wir sind Premium, also können wir auch höhere Löhne zahlen", sagte Bofinger. Die Löhne sollten um drei Prozent steigen. "Statt Lohnzurückhaltung sind wieder höhere Abschlüsse gefragt".
Der Ökonom Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), sieht hingegen wenig Spielraum für Lohnerhöhungen. "Am Ende des Jahres werden wir erst 80 Prozent des Konjunktureinbruchs wettgemacht haben", sagte er der
"Welt am Sonntag". Jetzt beginne wieder die Normalität, und das bedeute auch, dass sich die Löhne an der Produktivitätsentwicklung orientierten. "Also keine Lohnnachschläge auf breiter Front; aber in vielen Unternehmen wird es sicherlich Einmalzahlungen geben oder Gewinnbeteiligungen."

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) betonte: "Ich respektiere die Tarifautonomie und gebe keine Empfehlung. Aber als Volkswirt würde ich statt des üblichen Rituals gern neue Elemente sehen." Kriterien der Vermögensbildung, Alterssicherung und der Teilhabe sollten in eine moderne Tarifpolitik eingebunden werden. So kämen die Tarifparteien zu insgesamt rationalen und intelligenten Lösungen. Etwa so: "Wenn bestimmte Erfolgskriterien erreicht werden, bekommen die Mitarbeiter automatisch einen Anteil davon zum Sparen - vor allem zur privaten Altersvorsorge, die wir ja angesichts der demografischen Entwicklung dringend brauchen."

IG-Metall-Chef Huber forderte, die Bundesregierung solle ihre Hausaufgaben erledigen, um die Schieflage bei den Einkommen zu bekämpfen: "Eine der Ursachen für den Lohnrückstand in Deutschland liegt in der skandalösen Ausweitung des Niedriglohnsektors durch prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit."

Ökonom Bofinger widersprach zugleich der landläufigen These, die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre sei wesentlicher Grund für den Exporterfolg der deutschen Industrie. "Der Absatz hätte nicht gelitten, wenn wir in den letzten zehn Jahren jeweils ein Prozent mehr Lohn drauf gelegt hätten. Wer in Amerika für den Mercedes 50 000 Dollar ausgibt, zahlt dafür auch 51 000 Dollar."

Letzte Änderung: 16.03.2013