Die Wirtschaft - ein Buch mit 7 Siegeln

michael schlecht

12.06.2010 Tatsächlich: Fußballbegeisterung und politisches Informationsbedürfnis schließen sich nicht aus, das bewiesen die 17 TeilnehmerInnen beim Vortrag von MdB Michael Schlecht

Kann ein Abgeordneter der Linken ein Fan von Helmut Kohl sein? Was auf den ersten Blick eher abwegig erscheint, lässt sich nachvollziehbar erklären: Zur Regierungszeit von Helmut Kohl waren Spitzensteuersätze, der Steuerbeitrag der Vermögenden und der Schutz vor prekären Arbeitsverhältnissen deutlich höher als in der nachfolgenden Politik "Agenda 2010" in der rot-grünen Regierungszeit.

Michael Schlecht ist Wirtschaftsfachmann: Der gelernte Drucker bildete sich weiter zum Druckingenieur und studierte Volkswirtschaft an der FU Berlin. Auch sein gewerkschaftlicher Werdegang ist beachtlich: In den 1980er Jahren beteiligte er sich am Kampf der IG Druck und Papier um die Einführung der 35-Stunden Woche, bis 2001 gestaltete er die Tarifpolitik der IG Druck und Papier/IG Medien maßgeblich mit. Seit 2001 ist er Chefvolkswirt des ver.di Bundesvorstands.
Politisch von 1982 bis 2005 in der SPD beheimatet, trat er 2005 in die WASG über, in deren Bundesvorstand er 2006 aktiv wurde und ist mit dem Übergang in die Partei Die Linke seit 2007 im Parteivorstand.
2009 zog er als Abgeordneter der Linken in den Bundestag ein.
Nun eine Zusammenfassung des Vortrags:

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Die Lohndrücker sind wir

Die Reallöhne in Deutschland sinken, betrachtet auf den Zeitraum von 2000 bis 2009 ist der Reallohndurchschnitt in der EU um 3,8% gestiegen, Deutschland war mit einem Reallohnverlust von 0,3 % Schlusslicht unter den betrachteten Ländern.
Quelle: Europäische Kommission, European Economy, Statistischer Anhang Herbst 2009

Im Vergleich zu den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmernin tarifgebundenen Betrieben, die ihren Reallohn noch verteidigen konnten (2%-4% Zuwachs) mussten die nicht tarifgebundenen ArbeitnehmerInnen 8% - 9% Verlust hinnehmen.

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Deutschland - Schlusslicht bei der Steigerung der Lohnstückkosten

Bei den Lohnstückkosten ein vergleichbares Bild: in Deutschland stiegen sie um 7%, die anderen EU-Länder legten durchschnittlich um 29% zu.
Das war mit ein Effekt der Agenda 2010: Durch die Senkung der Lohnnebenkosten war es möglich, bei gleichbleibendem "Cashlohn" die Erzeugerkosten zu reduzieren.
Gegenfinanziert wurde dies allerdings zu Lasten von Rentnern, Niedriglöhnern und durch einen Sozialleistungsabbau und eine Umverteilung der Einnahmeausfälle. Z.B der ausgefallenen Beitragseinnahmen der Krankenversicherung, die durch die höhere Selbstbeteiligung der Versicherten, durch die 10 Euro Praxisgebühr beim Arztbesuch, durch Streichung von Leistungen gegenfinanziert wurde.

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Die Erlöse der einen sind die Schulden der anderen - oder warum es nicht nur positiv ist, Exportweltmeister zu sein.

Ziel der Agenda 2010 war die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Wir sind Exportweltmeister und fahren hohe Außenhandelsüberschüsse ein, von 2000 bis 2009 immerhin 1,4 Billionen Euro.
Durch die aggressive Exportorientierung geraten viele unserer Nachbarländer unter wirtschaftlichen Druck, unsere Überschüsse sind deren Defizite.
Im Endeffekt lief der deutsche Wirtschaftsmotor nicht aus eingener Binnenkaufkraft, sondern auf die Exportdefizite der Nachbarn.
Vor der Euro-Zeit gab es einen Ausweg für Länder mit Exportdefizit: die eigene Währung abwerten. Deshalb war die "Stärke" der D-Mark ein Indiz für die Leistungsfähigkeit, aber auch ein Sicherheitsventil: Durch Abwertung erlangten die Ökonomien in den Nachbarländern wieder Konkurrenzfähigkeit.
Mit dem Euro und dem Währungsverbund häuften die wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsländer nun zwangsläufig immer höhere Defizite an.

Ausweg aus der Verschuldungsmistere: Wir müssen unsere Hausaufgaben machen - nicht in Griechenland, sondern in Deutschland

Um unsere Nachbarn nicht wirtschaftlich zu erdrücken und trotzdem den Wohlstand zu bewahren, müssen wir im Inland etwas tun:

  • Verstärkung der öffentlichen Investitionen
  • Investieren in nachhaltige Zukunftsprojekte (Bildung, Energiewende, Infrastruktur, Gesundheitssystem)
  • Stärkung der Binnenkaufkraft durch Mindestlöhne, Durchsetzung von Lohnsteigerungen und Einschränkung der präkären Arbeitsverhältnisse
  • Gegenfinanzierung durch höhere Spitzensteuersätze, Vermögenssteuer und stärkere Beteiligung der Finanzmarktteilnehmer an den Kosten der Finanzkrise

Fazit: Wir können und müssen selbst etwas tun, um die Auswirkungen der Krise einzudämmen. Die gewerkschaftlichen Lösungsansätze machen aus volkswirtschaftlicher Sicht Sinn.

An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Und Fußball gab es dann auch noch: Das zweite Freitagsspiel kam ja erst noch und das erste Spiel konnte man auch aufzeichnen.

Letzte Änderung: 16.03.2013