Betriebsinterne Öffentlichkeitsarbeit

Ein modernes Unternehmen braucht eine informierte Belegschaft

06.03.2009 Ein modernes Unternehmen braucht eine informierte Belegschaft

Betriebsinterne Öffentlichkeitsarbeit

Wie ein Blick ins BetrVG zeigt, ist der Betriebsrat verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten (vergleiche § 2 - zum Wohl der Arbeitnehmer... und ... § 80 - Maßnahmen, die der Belegschaft dienen). Der Gesetzgeber hat außerdem zur Kontrolle der Betriebsratstätigkeit und zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft verbindlich mind. 4 Betriebsversammlungen pro Jahr vorgeschrieben und zahlreiche zusätzliche Kommunikationsgebote gesetzlich verankert. Dies alles auch, weil der Betriebsrat die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen fördern soll.

Ohne Informationsaustausch mit der Belegschaft - keine Interessenvertretung

Die Kommunikation mit der Belegschaft ist also eine der Grundpfeiler einer guten Betriebsratsarbeit. Damit ist es aber bei SAP nicht zum Besten bestellt, denn erstens ist die Anzahl der Arbeitnehmer groß und die Betriebsräte der SAP AG und der SAP Deutschland agieren bundesweit, was eine Kommunikation erschwert und zweitens sind die Betriebsversammlungen eher schlecht besucht. Die Zuschaltung von MitarbeitInnen per SAP-TV verbessert die Kommunikation nicht, denn dieser Kanal ist nur sehr bedingt tauglich für einen regen und breit angelegten Informationsaustausch in beide Richtungen.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei SAP ganz generell ein ausgeprägter Hang festzustellen ist, alles vom Arbeitgeber anvertraute "geheim zu halten". Weder über die Gehaltsstruktur noch über die konkreten Umorganisationen wird die Belegschaft im ausreichenden Maße informiert. Typisch: Als die Gruppe ProMitbestimmung zum Auftakt ihrer Betriebsratsarbeit die Gehaltsstrukturen betriebsintern publizieren wollte, versuchte der Arbeitgeber, dies gerichtlich verbieten zu lassen. Natürlich war dies aus oben genannten Gründen vergeblich. SAP zog ihre Klage zurück, bevor sie in 2. Instanz verloren hätte (siehe Linkliste unten).

Betriebsrat oder Geheimrat?

Betriebsrat oder Geheimrat?

Aber auch im aktuell amtierenden Betriebsrat ist ein ausgeprägter Hang zur Geheimhaltung festzustellen. In der Belegschaft herrscht deshalb ein großer Mangel an vergleichbaren Informationen. Vertrauliche Gespräche mit der Arbeitgeberseite scheinen für viele BR-Mitglieder das Normale zu sein. Dies sogar, bevor die Meinung der Mitarbeiter zu den verhandelbaren Punkten eingeholt wurde. Das wirft im betriebsrätlichen Alltag Fragen auf: Woher weiß ein BR-Mitglied, was die Belegschaft will? Woher weiß die Belegschaft, was der Betriebsrat tut, d.h. richtig tut, falsch tut oder gar nicht tut? Woher weiß der Betriebsrat, welche Prioritäten er berücksichtigen muss, wenn die Aufgabenfülle groß ist? Woher weiß die Belegschaft, welche Spielräume ein Betriebsrat bei der Verteidigung der Arbeitnehmerrechte hat, wahrnimmt oder ungenutzt vergibt?

Erst recht bei der gesetzlich verankerten Mitbestimmung sollte die Belegschaft durch gute und schnelle Information die Verhandlungen des Betriebsrates aktiv begleiten können. Wie kann sie das, wenn der Betriebsrat sich wie ein Geheimrat verhält?

Beispiel: Cost-Saving Maßnahmen 2009

Der SAP-Vorstand hat mit Billigung des 16-köpfigen SAP-Aufsichtsrats beschlossen, dass 2009 erstmalig 3300 Arbeitsplätze weltweit zu entfallen haben und zusätzlich ein gewaltiges Sparprogramm aufzulegen ist. In diesem Rahmen will eines der reichsten Unternehmen Deutschlands für 2009, gehaltlich gesehen, ein Nullrunden-Jahr einläuten, d.h. die Arbeitnehmer bekommen 2009 nicht einmal die übliche Preissteigerung ersetzt, haben also ein Minusjahr vor sich - bei 25 % Umsatzrendite! Bevor der Arbeitgeber pflichtgemäß den Betriebsrat informiert (also das ganze Gremium und nicht nur die BR-Vorsitzenden und - wie Henning Kagermann einräumte - die Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten im BaWü), schreitet der SAP-Vorstand zur Tat und hält tags drauf eine Mitarbeiterveranstaltung ab. Auf dieser kann naturgemäß der Betriebsrat mangels Informationen kaum etwas Wesentliches sagen.

Bei SAP: Überfallstrategie statt Information

Anstatt dass der Betriebsrat seine gesetzlich verankerten Informationsrechte einfordert, notfalls gerichtlich durchsetzt, und die Belegschaft in einer Betriebsversammlung (oder in mehreren) umfassend über die beabsichtigten Pläne des Arbeitgebers und zugleich über die rechtlichen Möglichkeiten der Gegenwehr informiert, schweigt er. Er lässt den Arbeitgeber überfallartig zu einer Mitarbeiterveranstaltung aufrufen, wodurch dieser seine "wirtschaftliche Not" den Mitarbeitern ungehindert darstellen kann.

Dann geht der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber nahtlos in Verhandlungen (bis tief in die Nacht) ohne zuvor die Mitarbeiter über seine Verhandlungsziele zu informieren oder gar die kollektiven Interessen der Belegschaft abzufragen. Auch das ihm zustehende Recht, Berater und Sachverständige einzuschalten, nimmt der Betriebsrat nicht wahr - von der gesetzlich gebotenen Zusammenarbeit mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ganz zu schweigen. Woher nimmt der Betriebsrat seinen Sachverstand? Anschließend stimmt der Betriebsrat trotz durchgängigem Scheitern seiner Positionen in einer Nacht- und Nebelaktion den Vorstellungen des Arbeitgebers mit äußerst knapper Mehrheit zu: Der BR SAP AG mit 20:17 (von 37) und der BR SAP D mit 11:8 (von 23). Die an den Tag gelegte Geheimdiplomatie ist für Kenner der Materie die schlechteste Grundlage für eine erfolgversprechende Betriebsratsarbeit. Das Scheitern der Verhandlungen war also absehbar.

O-Ton Betriebsrat:

Was bringt Ihnen ein solcher Betriebsrat?

"Die einzelnen Kostensparmaßnahmen wurden im Detail diskutiert. Die Betriebsräte haben jeweils ihre Einschätzung dazu abgegeben und darüber hinaus eigene Vorschläge und Anregungen eingebracht. Insbesondere ging es uns darum, Stellen zu erhalten, die Nullrunde bei der Gehaltserhöhung abzuwenden und eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung abzuschließen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Leider konnten wir dies nicht erreichen." Und weiter unten im Text: "Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Arbeitgeber hier auf seiner unternehmerischen Entscheidung beharrt: In Deutschland müssen ca. 640 Stellen abgebaut werden". Die Belegschaft muss damit zur Kenntnis nehmen, dass sich Freiwillige um Aufhebungsverträge bewerben dürfen, wobei der Arbeitgeber im Einzelfall entscheidet, ob er dem Antrag zustimmt oder nicht.

Wie klingt diese Niederlage des Betriebsrats aus Arbeitgebermund?

"Die Verhandlungen waren sehr konstruktiv, zielgerichtet und fanden in einer Atmosphäre von gegenseitigem Vertrauen und Respekt statt." (Erwin Gunst - neuer Arbeitsdirektor im SAP-Vorstand).

Das muss sich eine Belegschaft nicht gefallen lassen. Statt mit der Belegschaft über das "WAS" und die Folgen ausführlich zu diskutieren, wurde von Betriebsratsseite mit dem Arbeitgeber nur noch über das "WIE" geredet und anschließend wurde der Belegschaft der Beschluss des Betriebsrts verkündet.

Ein modernes Unternehmen braucht eine informierte Belegschaft

20.3.2009 - Wählen Sie einen Betriebsrat, der Sie informiert und fragt, bevor er entscheidet

Die MitarbeiterInnen der SAP Deutschland sollten bei der Betriebsratswahl am 20.3.09 (und auch bei künftigen Wahlen) allen Kandidaten, die das vertrauliche Gespräch mit der Arbeitgeberseite und ganz generell die Heimlichtuerei höher einschätzen als die Informationspflichten gegenüber der Belegschaft, gründlich misstrauen. Sie sollten sorgfältig auf frühzeitig informierende, die Belegschaft beratende und besonders auf verhandlungs- und durchsetzungsstarke Betriebsräte setzen, wenn sie nicht weiterhin auf ganzer Linie verlieren möchten. Ein Betriebsrat, der nicht durch eine gute betriebliche Öffentlichkeitsarbeit in der Belegschaft verwurzelt ist und auch nicht Kontakt zur Gewerkschaft sucht, läuft erfahrungsgemäß bei jeder Verhandlung Gefahr, von der Arbeitgeberseite über den Tisch gezogen zu werden.

Letzte Änderung: 18.03.2013