Warum braucht SAP einen Betriebsrat?

Viel mehr Tempo, wir brauchen deutlich mehr Tempo

18.12.2008 Zitat Léo Apotheker: Die Softwarebranche ist dabei, eine echte Industrie zu werden

Die Frage "Warum braucht SAP einen Betriebsrat?" haben bei der Betriebsratsgründung im Jahre 2006 viele SAP-MitarbeiterInnen an uns, die IG Metall Heidelberg, gerichtet. Und weiter: "Was haben wir in Ihren Augen verkehrt gemacht, dass wir jetzt einen Betriebsrat brauchen würden?" Die Antwort: "Zur Gründung eines Betriebsrats braucht man zunächst mal keinen Grund und man muss auch nichts verkehrt machen, um den gesetzlichen Auftrag, einen Betriebsrat zu gründen, in die Tat umzusetzen." Es reicht, wenn die Firma mindestens 5 ständige wahlberechtigte MitarbeiterInnen hat, sagt § 1 BetrVG. Die SAP AG hat deren 11.000. Muss man da noch rätseln, ob die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind? Und wir fügen hinzu, ein Betriebsrat ist immer gut, wenn die Belegschaft sich mit in die Gestaltung der Arbeitsprozesse einbringen möchte. Dies gilt ganz besonders, wenn das Unternehmen umgekrempelt wird. Hervorzuheben ist, dass die betrieblichen Spielregeln nur dann auf Dauer akzeptiert werden, wenn die Beschäftigten mitbestimmen können - und dies übrigens auch wollen! Ein Vertrag ist allemal sicherer, als eine mündliche Zusage. Und eine Betriebsvereinbarung ist ein betrieblicher Vertrag zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat. Gesundes Vertrauen ist, wenn man einen Vertrag nicht einklagen muss. Blindes Vertrauen ist, wenn man gar keinen Vertrag hat.

Betriebsräte hat man ganz einfach

Auch die SAP-Belegschaft scheint mittlerweile mehrheitlich einzusehen, dass es nicht sinnvoll ist, sich gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zu entziehen. Wer bei seinem Bemühen, sich für die Arbeitnehmer seines Betriebes einzusetzen, jedesmal bei "0" anfängt und dann auch noch isoliert vorgeht, läuft dabei Gefahr, alle Fehler zu wiederholen. Effektiver ist es, wenn man auch die Erfahrungen anderer Betrieben mit einbezieht und so auf die Ergebnisse der gesellschaftlichen Auseinandersetzung aufbaut.

Inzwischen sind über 2 Jahre ins Land gegangen und im SAP-Konzern haben sich diverse Betriebsräte konstituiert. Einer in der Muttergesellschaft SAP AG, einer in der Tochtergesellschaft SAP Deutschland AG & Co.KG, 6 Betriebsräte in der ehemaligen Tochtergesellschaft SAP SI AG. Letztere Betriebsratseinheiten in der SAP Deutschland und der SAP SI formieren sich gerade nach der Unternehmensverschmelzung um, wir haben darüber berichtet, siehe Linkliste unten (Betriebrats-Neuwahlen bei SAP Deutschland 2009).

Der Wechsel im Vorstand ...

Im kommenden Frühjahr vollzieht sich ein gravierender Wechsel in der SAP-Konzernspitze. Erwin Gunst wird neuer Arbeitsdirektor im Vorstand, obwohl er als COO gleichzeitig für die Optimierung der Prozesse, für eine ständige Kostenreduzierung und für die Straffung der SAP-Organisation eine diametral entgegengesetzte Aufgabe hat. Léo Apotheker wird alleiniger Vorstandsvorsitzender und damit wechselt die Hauptstoßrichtung von der Technikzentriertheit zur Vertriebsorientierung. Was das heißt, lässt Léo uns schon mal im aktuellen Manager Magazin wissen: "Die Softwarebranche ist dabei, eine echte Industrie zu werden. Lean Management wird enorm helfen, Produkte schneller an den Markt zu bringen", sagte Apotheker. Und in der Computerwoche wird er zitiert mit "Viel mehr Tempo, wir brauchen deutlich mehr Tempo".

... und die Folgen

Auf die Geschwindigkeit kommt es an

Die deutlich ruppigere Gangart bei der Festsetzung der Preise für den "Enterprise Support" hat selbst den Bestandskunden das blanke Wasser in die Augen getrieben. Besonders der von SAP umworbene Mittelstand hat verstanden, wie schutzlos sie sind, wenn sie dem Software-Konzern in aller Verschwiegenheit nur als einzelnes Kleinunternehmen gegenüber stehen. Sie lehnten sich deshalb gut organisiert über offene Beschwerdebriefe im Internet und mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit fast wie eine Gewerkschaft gegen das neue cost-spending-program der SAP auf - mit vollem Erfolg. Sich regen bringt Segen.

Aus Beispielen kann man lernen

Das gilt auch für die Belegschaft. Wir werden sehen: Das Geld, was man durch den grandiosen Rückzieher bei den Bestandskunden nicht wie gewollt eintreiben kann, wird an anderer Stelle eingetrieben. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Wie man weiß, wenn sich Gravierendes ändert, ist es gut, auch seine eigenen Wertvorstellungen mit einzubringen. Genau das ist "mit" einem Betriebsrat einfacher und effektiver als "ohne"! Und "times are changing" ist ja nicht gerade eine neue Erkenntnis.

Blick nach vorne

Steigerung der Leistung oder Abstieg

Also kann die SAP-Belegschaft froh sein, diesen gravierenden Änderungsprozess mit den Hilfsmitteln eines aktiven, ideenreichen Betriebsrats begleiten zu können - den Betriebsratsgründern "Pro Mitbestimmung" sei Dank. Während jetzt mit Blick auf die weltweite Finanzkrise die Mehrzahl der 30 Dax-Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen in Vereinbarungen mit den Gewerkschaften ausgeschlossen hat, fällt SAP wieder aus dem Rahmen: "SAP lehnt es ab, irgendwelche Zusagen dieser Art zu machen" zitiert die Süddeutsche Zeitung, siehe unten in der Linkliste.

Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch

Weitblick ist nicht nur schön, er hilft auch manchmal

Unserer Meinung nach kann die SAP Belegschaft zunächst froh darüber sein, dass Sie dank Betriebsrat an ihrer "freiwilligen" Urlaubsplanung festhalten darf. Ein Blick über den Zaun zeigt, dass die benachbarten KollegInnen bei Realtech in Walldorf in den Zwangsurlaub geschickt wurden und dass auch gleich vorsichtshalber die Gehälter der KollegInnen eingefroren wurden - die haben eben noch (!) keinen Betriebsrat. Bringen Sie sich im eigenen Interesse im Neuen Jahr mit Rat und Tat in die Betriebsratsarbeit ein, sei es durch Anregungen, aktive Beteiligungen an Betriebsversammlungen oder durch engagierte Teilnahme an der bei der SAP Deutschland AG & Co.KG bevorstehenden Betriebsratswahl.

Mit diesen Gedankensplittern möchten wir allen SAP Kolleginnen und Kollegen ein gesegnetes Weihnachtsfest wünschen und einen guten Übergang ins Neue Jahr.

Ihre IG Metall Heidelberg

Letzte Änderung: 18.03.2013