Krisenstimmung in Walldorf

Was ist im Vorstand los ...?

09.10.2008 Will sich SAP aus der Krise sparen, ohne darauf zu achten, welche Kosten durch Demotivation entstehen können?

Dass augenblicklich eine internationale Finanzkrise tobt, dürfte Jede und Jeder zumindest aus der Presse entnommen haben. Welche Auswirkungen dies auf die Arbeitswelt haben wird, ist weder klar noch absehbar. Zu diesem Thema konnten wir auch in allen Zeitungen lesen: SAP wird - warum auch immer - die ambitionierten Ziele am Ende des Geschäftsjahres nicht erreichen. Daraufhin verlor der SAP Aktienkurs dramatisch an Wert. Soweit die Fakten.

Was kann ein Arbeitnehmer in einer solchen Situation Besseres tun, als sich voll und ganz auf seine Arbeitsaufgabe konzentrieren? Und in diesem Zusammenhang kann er auch erwarten, dass sich alle Aktiven im Unternehmen zusammenreißen, um die erforderliche Motivation zur Problembewältigung aufzubringen.

Es geht ein dunkle Wolk herein

Von Motivierung scheint aber der SAP-Vorstand entweder wenig zu halten oder wenig Ahnung zu haben (siehe Wikipedia unten). Die aktuellen SAP-Zahlen zum Abschluss des 3. Quartals waren für den Vorstand ein Anlass, die Belegschaft in den letzten beiden Tagen sowohl per Mail als auch am 7. Oktober in einer in englisch gehaltenen adhoc-Mitarbeiterversammlung über die momentane Situation und ihre möglichen Auswirkungen in Kenntnis zu setzen. Die Botschaft "von ganz oben" - ohne vorherige Beratung mit dem Betriebsrat - war eindeutig: Sparen, Sparen, Sparen ist angesagt. Wie begründet das "hoch bezahlte Panik-Orchester" diesen Spar-Appell konkret? Gar nicht. Henning Kagermann und Léo Apotheker haben lediglich dargestellt, dass Kosteneinsparungen wichtig sind, um die Folgen der internationalen Finanzkrise für die SAP so gering wie möglich zu halten.

Und dann folgten bereits beschlossene konkrete Maßnahmen:

  • Befristete Arbeitsverträge werden nicht verlängert.
  • Verträge mit externen Mitarbeitern werden nicht verlängert, man sucht sogar nach Wegen, laufende Verträge vorzeitig zu beenden.
  • Ein globaler Einstellungsstopp wird verkündet, von extern wird niemand mehr eingestellt. Alle freien Stellen sind ab sofort gestrichen.

Folge: Die anfallenden und durch die Finanzkrise sicher schwerer werdenden Aufgaben der SAP-MitarbeiterInnen müssen mit dem heute verfügbaren Personal bewältigt werden. Hilft das dem Umsatz? Der Vertrauensarbeitszeit sei Dank, keiner merkt was ... oder doch? Die Familie? Der Freundeskreis? Hat ein SAPler so etwas?

Zwei davon spontan abgeleitete offene Fragen:

  1. Was passiert mit den erforderlichen internen Wechseln, wenn es keine offenen Stellen mehr gibt? Müssen die Kolleginnen und Kollegen auf den alten Stellen ausharren, bis sich das Wetter aufhellt? Spart das Kosten?
  2. Werden z.B. die Auszubildenden und BA-Studenten noch übernommen oder müssen diese sich schleunigst bei anderen Unternehmen einen Job suchen? Hat man diese Frage im Vorstand bedacht?

Weitere Sparmaßnahmen "ex cathedra":

  • Per Vorstandsbeschluss dürfen auch keine Schulungen und Seminare mit externen Referenten mehr stattfinden. Selbst die üblichen externen Referenten fürs Vorpraktikum der Auszubildenden (BAzubis) sind gestrichen. Damit dürften auch externe Management-Beratungen kein Thema mehr sein. Man will sich nur noch auf kundenbezogene Projekte konzentrieren. Geht das ohne externen Sachverstand oder ohne permanente Mitarbeiterschulung? Und geht das auch so, dass die Kunden zufrieden sind?
  • Alle Reisen sind gestrichen. Die Ausnahme bilden Meetings, bei denen Kunden involviert sind. Es darf auch nur noch in der "Economy Class" geflogen werden. In diesem Punkt zeigt auch der Vorstand, dass er beim Sparen dabei ist: Sie wollen auch nur noch "Economy" fliegen. Dann dürfen sie aber beispielsweise die Lufthansa-Karte nicht vergessen, denn ein Upgrade auf die Business-Class dürfte bei dem Meilenstand leicht möglich sein.
Sparen, ohne auf die Kosten zu achten?
  • Der Vorstand hat sogar darüber hinaus über erzwungene Betriebsferien aller MitarbeiterInnen über Weihnachten und sogar über Urlaubsopfer aus der Belegschaft nachgedacht. Dies allerdings, ohne die Existenz des seit 2006 bestehenden Betriebsrats bei solchen Maßnahmen gebührend in Betracht zu ziehen. Der designierte Vorstandsvorsitzende Léo Apotheker meinte vorhersagen zu können, dass der Betriebsrat zustimmt. Woher weiß er das? Dass der Vorstand anbietet, selbst auf zehn Tage Urlaub zu verzichten, liegt in seiner alleinigen Entscheidung. Allerdings ist es als Topmanager nicht besonders schwer, Urlaubsansprüche ungenutzt verfallen zu lassen. Die Macht zur Kompensation sollte in dieser Ebene gegeben sein. Auf keinen Fall wäre dieses Angebot aber ein Grund, dass der Betriebsrat in Walldorf die Interessen der Belegschaft übergehen darf. Und wenn doch, lässt sich die Belegschaft einen solchen Betriebsrat gefallen? Fakt ist, der Vorstand kann so etwas nicht alleine entscheiden, wenn der Betriebsrat von seiner Mitbestimmung Gebrauch macht. Tut er das, wenn er in einer Rundmail an die Belegschaft feststellt: "To represent your interests as fully as possible, we will closely follow the measures planned by the Executive Board in accordance with our rights of codetermination."?
  • Den Auszubildenden der SAP wurde die bereits seit langem geplante, beschlossene und mit hohem Engagement ehemaliger BAzubis und der JAV organisierte Jahresfeier ABAP 2008 kurzerhand gestrichen. Wenn man von den Stornierungskosten für den bereits gebuchten Jugendclub in Walldorf absieht, könnte damit der einmalige Betrag von 3000 Euro teilweise gerettet sein. Die Motivation auch?
  • Dass der Vorstand auf einen Teil seiner Bezüge verzichten würde, ist übrigens zu keinem Zeitpunkt erwähnt worden - so schlimm kann es also um die SAP-Zahlen nicht stehen.

Wegen Börsen-Krise Lohnerhöhungen futsch?
Zugegeben, für den Vorstand ist natürlich die Zeit günstig, Sparmaßnahmen synchron zur Bankenkrise zu fordern. Klar ist aber auch, dass diese Krise nicht durch schuldhaftes Verhalten in der Belegschaft entstanden ist und man schon deshalb nicht für Opferbereitschaft an der Basis werben sollte. Aber die Gehaltsrunde steht vor der Tür und niemand im SAP Konzern traut sich jetzt, eine auffällig abweichende Forderung zu formulieren. Weiß doch jeder, dass bei SAP ausschließlich der Vorgesetzte entscheidet, ob's eine Gehaltserhöhung oder eine Nullrunde gibt. Da ist Wohlverhalten angesagt, wenn man keinen Minuspunkt einhandeln will. Mit einem Tarifvertrag könnte man natürlich wesentlich entspannter seine Meinung sagen, aber so etwas gibt's bei SAP nicht. Bei einer Gewinnmarge um die 20 % sollte trotz aller Krisenstimmung eine ordentliche Gehaltserhöhung möglich sein. Vielleicht sollte einfach die Gehaltserhöhung des Vorstandes auch für die Belegschaft zugrunde gelegt werden.

Leider ist keines der angesprochenen Themen für langjährige MitarbeiterInnen neu. Man hätte sich die Versammlung auch sparen können. Es handelt sich um ein Remake der Maßnahmen, die schon 2001 angeklungen sind. Insofern ist das angebotene Instrumentarium schon ziemlich fantasielos. Ebenso schlicht äußerte sich der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Lars Lamadé. Für ihn als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stünde jetzt die Arbeitsplatzsicherheit im Vordergrund. Sollte dies für einen Arbeitnehmervertreter nicht selbstverständlich sein?

Als Fazit der Mitarbeiterversammlung stellte Léo Apotheker fest: Nur ein stabiler Aktienkurs sichert Arbeitsplätze. Wir nehmen an, er hat seinen eigenen Arbeitsplatz gemeint.

Anhang:

Melodie: Es geht ein dunkle Wolk herein

Melodie: Es geht ein dunkle Wolk herein

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Letzte Änderung: 18.03.2013