Nullrunde - nur wenn's der BR erlaubt

Ein Betriebsrat nützt nur, wenn er sich für die Belegschaft einsetzt

11.04.2008 Bei der Frage der jährlichen Gehaltsanpassung lässt die Mehrheit im Betriebsrat der SAP dem Arbeitgeber völlig freie Hand

Die MitarbeiterInnen der SAP AG erfahren seit Einführung des Betriebsrats im Juni 2006 endlich etwas mehr über das SAP-Entgeltsystem, denn der Betriebsrat hat ein verbrieftes Recht, vom Arbeitgeber auch darüber umfassend informiert zu werden. Da die Betriebsratsmehrheit aber noch nicht die Auffassung teilt, dass die auf diese Weise erworbenen Informationen auch unverzüglich an die Belegschaft weiter zu reichen sind, ist die Belegschaft auf Informationen einzelner BR-Mitglieder oder Betriebsratslisten angewiesen. Ginge es nur nach dem SAP-Management, so würde heute noch striktes Stillschweigen über das Gehaltssystem die verständliche und berechtigte Neugier der Beschäftigten ausbremsen. Die SAP AG versuchte im Frühjahr 2007 sogar beim Arbeitsgericht Mannheim durch eine Klage gegen die gewerkschaftlich orientierte Liste ProMitbestimmung, die Prozesse und Regeln der Entgeltverteilung als Geschäftsgeheimnis zu verankern. Mit Unterstützung der IG Metall konnte im Verlauf dieses Prozesses diese Jahrzehnte andauernde Stillschweige-Hürde rechtskräftig beseitigt werden, siehe unsere Linkliste. Weitergehende Informationen können jetzt auf der Webseite der Gruppe ProMitbestimmung betriebsintern nachgelesen werden.

SAP meidet die Gehaltstransparenz

Nullrunden missachten die stetig steigenen Anforderungen

So weiß man jetzt immerhin, dass die SAP AG für das Jahr 2008 ein Gesamtbudget für Gehaltserhöhungen von 3 % beschlossen hat (durchschnittl. Gehaltserhöhung). Und man weiß jetzt auch, wo die einzelnen SAP-Gehaltsbänder angesiedelt sind - für die SAP-MitarbeiterInnen nachzulesen bei www.promitbestimung.de. Absolutes Rätselraten ist dagegen jährlich angesagt, wenn man das Entgeltsystem auf die einzelnen Personen bezieht. Durchschnittl. 3 % heißt ja bekanntlich nicht, dass jeder diese Gehaltserhöhung bekommt. Ca. 10 % der MitarbeiterInnen bekommen nichts - eine sog. "Nullrunde" lässt die Hoffnungen der Betroffenen jäh platzen. Für sie nagen die stetig steigenden Lebenshaltungskosten am sehr hart verdienten SAP-Einkommen. Andere bekommen zwar etwas mehr aber insgesamt weniger als die Inflationsrate ausmacht. Wiederum andere, die Minderheit, bekommt mehr als der Durchschnitt. Wer von diesem Glück betroffen ist und vor allem warum, bleibt nach wie vor das Geheimnis des Arbeitgebers. Das Argument "man bezahle nach Leistung" ist nicht nachprüfbar. Die SAP-Belegschaft fährt durch diese willkürlich anmutende Verteilung der individuellen Gehaltserhöhung Schlitten mit verbundenen Augen. Geht's voran, hat man eben Glück gehabt, erfolgt ein dumpfer Aufprall, dann war's eben Pech. Viele KollegInnen beklagen seit Jahren Nullrunden sowohl bei der Gehaltserhöhung als auch bei der STAR-Verteilung (Stock Appreciation Rights - Bezugsrecht für SAP-Belegschaftsaktien).

Ein Mitbestimmungsrecht muss man sich nehmen

Willkürliche oder einseitige Arbeitgeberentscheidungen bei der Gehaltsfestsetzung wie bei der SAP AG muss man nicht schicksalsergeben hinnehmen, wenn man
a) einen Betriebsrat hat und
b) dieser Betriebsrat auch für die Interessen der Belegschaft aktiv wird, sprich, von seinem Mitbestimmungsrecht Gebrauch macht.

Denn die Verteilung einer allg. Gehaltserhöhung und die Festlegung, nach welchen Kriterien die SAP AG ihren Arbeitnehmern die zugesagte Gehaltserhöhung letztendlich zukommen lässt bzw. davon ausschließen kann, ist bei Vorhandensein eines Betriebsrats mitbestimmungspflichtig. D.h., ein Betriebsrat kann den Arbeitgeber zwingen, sich den demokratischen Gepflogenheiten in diesem Land anzuschließen.

Bei der SAP AG existiert ein Betriebsrat wider Willen

Zusammen erreicht man mehr

Noch hat der SAP-Betriebsrat von diesem eminent wichtigen Recht kein Gebrauch gemacht - er spricht zwar mit dem Arbeitgeber über die Gehaltsverteilung, aber er handelt mehrheitlich nicht so, dass der Arbeitgeber ihn ernst nehmen müsste. Die große Mehrheit der Belegschaft hat sich einen Betriebsrat gewählt, der dem Arbeitgeber alle Freiheiten lässt. Kein Wunder, wenn sogar die amtierende BR-Vorsitzende sich selbst als "Betriebsrätin wider Willen" bezeichnet und im BR der SAP AG die Mitglieder der "christlichen Gewerkschaft" CGM bei Gehaltsfragen dominieren (siehe Linkliste unten). Dass das auch anders geht, hat der Betriebsrat der SAP SI AG in Dresden bewiesen (seit dem 1.4.2008 in die SAP Deutschland integriert). Dieser hat noch zu SAP SI-Zeiten eine örtliche Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die dem Arbeitgeber bei der Verteilung der Einkommenserhöhungen das Alleinbestimmungsrecht entzieht (BV zur Vergütungslesung).

Außerhalb der SAP AG ticken die Uhren anders

Arbeitnehmerfreundlicher agiert ein Betriebsrat auch jüngst in Niedersachsen. Auch dort hat ein Arbeitgeber für 2007 seiner Belegschaft eine generelle Entgeltanhebung von 3 % zum Ausgleich der Inflation versprochen. Bei der Einzelfallbetrachtung gab's dann aber die bei SAP sattsam bekannten Differenzierungen von "Nullrunde" bis "überdurchschnittliche Anhebung". Auch hier wurde mit der erbrachten Leistung argumentiert. Dem dortigen Betriebsrat war das vom Arbeitgeber angewandte Verfahren zur Gehaltsanpassung nicht gleichgültig, er forderte ein Mitbestimmungsrecht bei der Frage, nach welchen Grundsätzen die Gehaltsanpassungen erfolgen sollen. Da ihm der Arbeitgeber dies - wie bei der SAP AG - verweigerte, zog er im Herbst 2007 vor das Arbeitsgericht in Lüneburg und gewann den Prozess in voller Breite. Der Arbeitgeber legte daraufhin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hannover ein. Das LAG-Urteil steht noch aus, dürfte aber das Lüneburger Urteil kaum abändern, denn auch das Bundesarbeitsgericht sieht die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Festlegung der Gehaltssysteme, wenn ein diesbezüglicher Tarifvertrag - wie auch in diesem Fall unstrittig - nicht vorliegt.

Ein Tarifvertrag mit der IG Metall wäre das Allerbeste für die Belegschaft

Ein Tarifvertrag rechnet sich

Wenn es bei der SAP AG und auch bei dem niedersächsischen Industriebetrieb einen Tarifvertrag zwischen Arbeitgeber und der IG Metall gegeben hätte, wäre dieser Konflikt von vorne herein ausgeräumt. In diesem Fall hätte der Betriebsrat gar nicht zur Vermeidung von Willkür gerichtlich handeln brauchen, denn wenn ein Tarifvertrag besteht, werden die Verteilungsgrundsätze gleich per Tarifvertrag mitgeregelt. Der Betriebsrat hätte dann nur noch die Aufgabe, auf die Einhaltung des Tarifvertrages zu achten. Damit wäre ein großer Teil des Konflikts aus dem Unternehmen herausgenommen. Damit wäre auch gleichzeitig das Verhältnis von Mitarbeiter und Vorgesetztem von einem großen Konfliktpotential befreit und man kann sich ganz auf die Arbeit konzentrieren.

Und ganz nebenbei, mit 3 % Gehaltserhöhung für ein ertragreiches Unternehmen, wie die SAP AG, hätte sich die IG Metall bestimmt nicht zufrieden gegeben. Im Jahr 2007 hat die IG Metall für die gesamte Metallbranche 4,1 % Tarifanhebung erwirkt - d.h. 4,1 % für alle Arbeitnehmer in der tariffähigen Metallindustrie. Die SAP AG hat im gleichen Zeitraum der Belegschaft gerade einmal 2,5 % Gehaltserhöhung zugestanden. Aber wohlgemerkt: Dies nur im Durchschnitt - Nullrunden und unterdurchschnittliche Gehaltsanhebungen waren zahlreich vertreten, wobei die hierfür erforderlichen Begründungen natürlich nicht dem Betriebsrat oder gar der Belegschaft mitgeteilt wurden.

Was ist zu tun?

SAP-MitarbeiterInnen, die von einer Nullrunde oder von anderen Ungerechtigkeiten in der Entgeltbemessung betroffen sind, kann nur geraten werden, sich an ein BR-Mitglied ihres Vertrauens zu wenden, um Licht in diese Willkürmaßnahmen zu bringen und um mit den rechtlichen Möglichkeiten eines Betriebsrats nach Auswegen aus dieser Misere zu suchen. Wenn es im derzeitigen SAP-Betriebsrat zuwenig BR-Mitglieder gibt, denen ein/e ArbeitnehmerIn vertrauen kann, dann heißt es, bei der nächsten BR-Wahl Konsequenzen zu ziehen.

Die für eine demokratische Grundhaltung erforderliche Transparenz wird bis auf den heutigen Tag von SAP vermieden. Dies wird sich auch in Zukunft solange nicht ändern, wie die Belegschaft BetriebsratskanditatInnen wählt, die sich damit begnügen, Arbeitgeberpositionen zu vertreten. Für SAP reicht es, wenn die Zeitschrift "Capital" und andere gut bezahlte Institutionen jährlich die SAP AG zum begehrtesten Arbeitgeber hochjubeln und fleißig medienträchtige Awards verteilen. Was das wohl immer kostet?

Letzte Änderung: 18.03.2013