Arbeitsschutztag 2007 in Heidelberg

Bourn out - CFS - Missing my life

25.10.2007 Ein Seminar der IG Metall in Heidelberg am 25.10.07 mit Freistellungsmöglichkeiten für Betriebsräte

Dass die körperlich schwere Arbeit in Deutschland immer mehr abnimmt und stattdessen die moderne Arbeit wesentlich weniger Muskelkraft erfordert, ist nicht neu. Verkehrt wäre es, wenn man daraus schließen würde, dass die Arbeitswelt von heute dadurch weniger Gesundheitsrisiken in sich berge und der Arbeitgeber deshalb weniger in die Gesundheitsvorsorge zu investieren hätte.

Zunehmende Komplexität der Arbeitsinhalte, parallele kognitive Belastungen und sensorische Reizüberflutungen in der flexiblen und mobilen Arbeitswelt, dauerhafte Schadstoffbelastungen, nicht enden wollender Stress und ganz nebenbei immerwährende Sorge um die Überlebenschance des Arbeitsplatzes führen nicht selten zu schwer krankmachenden Belastungen. Darauf wies gleich zu Beginn Siegfried Schroth von der IG Metall Heidelberg in seiner Begrüßungsrede hin. Schon deshalb sei es so wichtig, durch regelmäßige Seminare, wie dieser 2. Arbeitsschutztag in Heidelberg, auf die sich ständig ändernden Gesundheitsrisiken in der Arbeitswelt von heute hinzuweisen und die gesetzlichen Schutzmaßnahmen zu thematisieren. Ganz besonders der Betriebsratsarbeit kommt ein hoher Stellenwert zu. Sie muss sich für das Thema Arbeitsschutz noch intensiver als in der Vergangenheit einsetzen.

Prof. Dr. med. Wolfgang Huber, Heidelberg, nahm denn auch gleich den Faden auf und stellte beispielhaft die immer häufiger auftretende nicht sichtbare Behinderung "Chronisches Erschöpfungssyndrom" dar. Es handelt sich bei CFS (auch Chronische Müdigkeit) um eine schwere Dauererkrankung, die

  • starke Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses
  • allg. erhebliche Zustandsverschlechterungen für mehr als 24 Stunden nach jeder Anstrengung
  • starke Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung
  • und nicht erholsamen Schlaf oder veränderte Schlafmuster

zur Folge hat.

CFS liegt vor, wenn die Chronische Erschöpfung:

  • klinisch gesichert und ungeklärt ist
  • neu und mit zeitlich bestimmbarem Beginn auftrat
  • sich nicht spürbar durch Ruhe bessert
  • nicht Folge einer noch anhaltenden Überlastung ist
  • länger als 6 Monate anhält
  • zu einer substantiellen Reduktion früherer Aktivitäten in Ausbildung und Beruf sowie im sozialen und persönlichen Bereich führt.

Es versteht sich von selbst, dass diese CFS nicht allein ihre Ursache in der Arbeitswelt haben muss. Aber gerade die heutige Arbeitswelt weist eine Fülle von Belastungsmöglichkeiten auf, die es per Gefährdungsanalyse einzugrenzen und per Mitbestimmungsrechte zu bekämpfen gilt. Die genauen Ursachen und Krankheitsmechanismen des CFS sind bis heute nicht bekannt. Es wird in der Fachwelt zunehmend angenommen, dass es sich um eine heterogene Erkrankung handelt. Das bedeutet, dass es womöglich keinen einzelnen Auslöser gibt, sondern verschiedene Ursachen zu dieser Erkrankung führen können. Als Ursache wird eine Schwächung bzw. chronische Aktivierung des Immunsystems angenommen. Mehrere neuere Forschungen stufen CFS als eine Störung des Zusammenspiels zwischen Immunsystem, Nervensystem und Hormonsystem ein. Die Folge einer CFS sind schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen. CFS-Kranke stoßen mit ihrer nicht sichtbaren Behinderung in einer unzureichend informierten Umwelt meist auf Unverständnis. Arbeitsunfähigkeit, Kosten für Diagnostik bzw. Behandlung und Frühverrentung sind häufig Stationen eines Wegs in das soziale Abseits und in die Armut. Schon deshalb sind die Betriebsräte mit ihren umfassenden gesetzlichen Eingriffsmöglichkeiten aufgerufen, mit besten Kräften mitzuhelfen und krankmachende Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren wo immer es geht (mehr Informationen siehe Linkliste).

Jedoch was hilft das beste Gesetz, wenn's keiner kennt oder keiner anwendet? So könnte man den Beitrag von Dr. Max Geray, Büro für Arbeitsschutz Hamburg, umschreiben. Im Mittelpunkt seines interessanten Vortrags stand das 1996 novellierte Arbeitsschutzgesetz und die sich daraus ableitbaren Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Betriebsräte. Auch in der Rechtsprechung kommt der Präventionsgedanke dieses Gesetzes besonders zum Ausdruck. Der Arbeitgeber wird zum vorbeugenden Gesundheitsschutz einschließlich der menschengerechten Gestaltung des Arbeitsplatzes verpflichtet (siehe auch GERAY-Foliensatz in unserer Linkliste).

Der Gesetzgeber verlangt, dass jeder Arbeitgeber zu ermitteln hat, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Hierfür hat er einklagbar eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung vorzunehmen (Gefährdungsbeurteilung). Dabei ist für diese Beurteilung nicht nur die sichtbare Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes zu beachten, sondern

  1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
  2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
  3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
  4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
  5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten.

Hier ist der Betriebsrat besonders gefordert, ausdauernd, phantasievoll und rechtskundig vorzugehen. Das gesetzliche Rüstzeug dafür findet er u.a. im Betriebsverfassungsgesetz BetrVG (2001) und im Arbeitsschutzgesetz ArbSchG (2004).

Wie das erfolgreiche Eintreten für den Arbeitsschutz in der Praxis aussehen kann, wusste Egon Mäurer, BR-Mitglied der Alstom Power Generation AG sehr anschaulich zu schildern. Der Betriebsrat bei Alstom konnte sich letztendlich erst mit Hilfe einer Einigungsstelle durchsetzen. Diese mit jeweils 3 Beisitzern und dem vorsitzenden Richter am Arbeitsgericht Mannheim, Lothar Jordan, besetzte Einigungsstelle war ausschlaggebend für die Durchsetzung der gesetzlich fixierten Mitbestimmung des Betriebsrats. Eine lohnende Investition, denn jetzt ist das Thema Arbeitsschutz ständiger Tagesordnungspunkt in dem durchsetzungsfähigen Betriebsrat bei Alstom und die Belegschaft weiß dies zu schätzen.

Das war auch eine der Kernbotschaften, auf die Kollege Siegfried Schroth von der IG Metall Heidelberg zum Abschluss der Schulung nochmals hinwies: Arbeitsschutz ist eine der Aufgaben eines Betriebsrats, auf die das Gremium ganz besonders Wert zu legen hat. Langjährige, auch und gerade "nicht sichtbare" Belastungen durch eine dem Menschen nicht angepasste Arbeitswelt können zu schwersten Krankheiten wie zum völligen "burn out" führen. Diese permanenten Überlastungen ruinieren nicht nur die Gesundheit, sie ruinieren den ganzen Menschen und bilden obendrein eine erhebliche Kostenbelastung für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft.

Letzte Änderung: 20.03.2013