Boomt die IT-Industrie?

Handeln tut Not - Beten allein hift wenig

19.03.2007 Wer Gas geben will, muss vorher getankt haben

Kaum geht's in der Wirtschaft aufwärts - was alle freut - schon hat die in Deutschland beheimatete IT-Industrie ein Problem: Die zur Verfügung stehenden Fachkräfte reichen hinten und vorn nicht. Dies gilt sowohl für den Sektor Hochschule als auch für den Bereich der "dualen Ausbildung" in der IT-Industrie. Insgesamt sucht laut Branchenverband Bitkom die deutsche Wirtschaft momentan 30.000 ITK-Fachkräfte. Aber Suchen allein reicht nicht, denn Fachkräfte findet man nicht nur, sie müssen vorher ausgebildet werden. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Sie wird nur nicht in die Tat umgesetzt: Stattdessen ist in der Zeit von 2000 bis 2006 die Zahl der Studienanfänger im Bereich Informatik um mehr als 25 % zurückgegangen. Und auch die Zahl der Auszubildenden in den benötigten Fächern Fachinformatiker, Informatikkaufmann, IT-System-Elektroniker, IT-System-Kaufmann und Systeminformatiker sinkt insgesamt kontinuierlich. Damit gibt es ausgerechnet in diesem Wachstumssektor so wenige Ausbildungsverträge wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Einer ITK-Branchenanalyse der IG Metall zufolge bildet inzwischen auch nur noch etwa jeder fünfte Betrieb im Bereich Softwareentwicklung und -beratung überhaupt aus. O-Ton des Arbeitsdirektor der SAP AG Prof. Dr. Claus E. Heinrich erst kürzlich im Betriebsrat: "Wir bilden nur so viele Leute aus wie wir brauchen". Die kleinen Betriebe können aus finanziellen Gründen nicht, die führenden Unternehmen wollen ihren Gewinn nicht schmälern.

Es ist zum Verzweifeln
Die Süddeutsche Zeitung spricht aktuell anlässlich der Cebit sogar davon, "dass IT-Fachkräfte von den Unternehmen "verzweifelt gesucht" werden". Zum Verzweifeln ist aber nicht nur der jetzt sichtbare Mangel an Informatiker und das generelle Fehlen ausreichend qualifizierter Nachwuchskräfte im IT-Sektor. Viel schlimmer noch ist die systematische Lernunfähigkeit der Industrie. Das stets wiederkehrende Phänomen des IT-Fachkräftemangels wird von den Unternehmen sehenden Auges selbst verursacht. Zum einen fehlt es an einer nachhaltigen Ausbildungs- und Qualifizierungsstrategie in der IT-Branche, zum anderen wirkt die beständig zunehmende "Ex und hopp" Mentalität der Unternehmen und die globale Suche nach Billiglohn-Alternativen alles andere als vertrauensbildend auf die Auszubildenen in der deutschen Hochschule und Industrie. "Kein Wunder also, wenn entsprechende Studiengänge für viele Studierende, anders als noch vor zehn Jahren, offenkundig einfach nicht mehr attraktiv sind", so Prof. Dr. Peter Wedde, siehe Linkliste. Hinzu kommt der allseits bekannte Jugendwahn der Personalverantwortlichen, eine Fehleinstellung, die eine qualifizierte Weiterbildung der älteren Beschäftigten als "nicht zu verantwortende" Maßnahmen erscheinen lässt.

Bildung bedarf einer Langzeitstrategie
All dies ist von Seiten der Hochschulen und der Gewerkschaften wahrlich häufig genug thematisiert worden, so dass jetzt keiner mehr glaubwürdig überrascht sein kann. Wie man weiß, bedarf gerade ein "Industriezweig mit großen Zyklusschwankungen" einer durchdachten Langzeitstrategie! Bildung ist eine notwendige Investition: Lebenslanges Lernen zum Nulltarif geht nicht und wer nicht investiert "zur Zeit" hat auch nicht "in der Not". Das weiß man alles, aber unsere immer mehr dem share-holder-value verpflichtete Wirtschaft denkt zu kurzfristig! Bildungs-Investitionen sichern zwar die Zukunft, lassen aber vorher die Gewinne schrumpfen, oder anders ausgedrückt, wer eine Zukunft haben will, setzt sich dem share-holder-Vorwurf aus, die Gegenwart zu gefährden. Das macht Angst und Angst macht häufig dumm. Also lagert man zukunftssichernde Kosten gerne an die Gesellschaft aus. Hier muss die Politik auch durch gesetzgeberische Maßnahmen eingreifen, um diesen gefährlichen Trend umzukehren. Ein Studium im Bereich der Informatik muss an Attraktivität gewinnen, d.h. auch, Studiengebühren sind Gift. Die Unternehmen müssen angehalten werden, ihre Ausbildungsinvestitionen zu erhöhen, sprich die Vergabe von Stipendien und das Angebot an Ausbildungsplätzen muss deutlich gesteigert werden. Und die Unternehmen sind dazu zu bringen, in die Verlässlichkeit moderner Arbeitsplätze zu investieren (Stichwort: Standortgarantie und Kündigungsschutz).

Lesen sie hierzu auch den Artikel von Prof. Dr. Peter Wedde in unserer Linkliste.

Letzte Änderung: 20.03.2013