SAF-Holland übernimmt Haldex

HALDEX

22.08.2022 Durch Kauf und rechtlich verbindliche Zusagen hat SAF am 16. August Verfügung über 93,35 Prozent der Haldex-Aktien erreicht.

Am 18. August 2022, kurz vor Börsenöffnung, hat der Achsen- und Fahrwerksysteme-Hersteller für LKW/Trailer, SAF-Holland SE (Bessenbach bei Aschaffenburg) mitgeteilt, er habe zum Stichtag 16.8. die Verfügung über 93,35 Prozent Anteile der Aktien der Haldex AB (LKW-Bremssysteme und -Luftfederungen) erreicht. Als Bedingung für eine Übernahme war bei der Ankündigung am 8. Juni die Quote von 90 Prozent genannt worden. Nachdem SAF 45,4 der 48,6 Millionen Haldex-Aktien kontrolliert, wird Haldex damit in den kommenden Wochen übernommen.

Die Frage, ob auch SAF die Produktion und Entwicklung in Heidelberg geschlossen hätte, erübrigt sich für die aktuellen und ehemaligen Beschäftigten. Beide Bereiche wurden bekanntlich 2020 von Haldex trotz personellem sowie technischem Know How und jahrzehntelanger Erfahrung im LKW-Bremsen- und Luftfederungssektor nach Ungarn und England verlagert. Da Bessenbach und Heidelberg nur 135 km auseinander liegen, ist in der heutigen Konstellation nicht auszuschließen, dass für die restlichen acht Haldex-Bürobeschäftigten hier nun ebenfalls mit Folgen zu rechnen ist. Der 2020 abgeschlossene Sozialplan gilt für sie bis 2025.

Erreichen der Übernahme-Quote bis zuletzt am seidenen Faden

Haldex AB ist an der Nasdaq in Stockholm notiert. Die Aktien waren immer enorm gestreut (zuletzt einschließlich Kleinstaktionären 10.818 Aktienbesitzer). 87,2 Prozent werden von insgesamt 25 Fondsgesellschaften, Banken und Unternehmen gehalten. Die beiden höchsten Anteile liegen bei nur 11,2 und 10,9 Prozent, die folgenden größten 23 Anleger verfügen im Schnitt bloß über knapp drei Prozent der Aktien.

Seit Februar hatten SAF und Haldex im Vorfeld geheim verhandelt und eine "Due-Diligence-Prüfung" vereinbart. Mitglied im Haldex-Board ist seit 2020 Detlef Borghardt, bis 2019 SAF-CEO. Das seit 4. Juli laufende offizielle Übernahme-Angebot, das von Board und Management Haldex zur Annahme empfohlen wurde, lag bei 66 schwedischen Kronen (SEK) in bar pro Aktie (ca. 6,20 Euro). Dies sind 46,5 Prozent über dem Schlusskurs vor der öffentlichen Kauf-Ankündigung (45 SEK) und 64,8 Prozent über dem Dreimonatsschnitt davor (40 SEK). Der Kaufpreis für Haldex insgesamt liegt damit bei 304 Millionen Euro.

SAF hatte vorab 20,4 Prozent der Haldex Aktien erworben (darunter auch 9,2 Prozent, die noch dem Haldex-Hauptkonkurrenten Knorr-Bremse gehörten). Außerdem verfügte man über verbindliche Zusagen von vier schwedischen Fonds, ihre 22,5 Prozent Aktienanteile an SAF zu verkaufen. Über die 43 Prozent kam man aber wochenlang nicht hinaus. Offensichtlich spekulierte ein Großteil der Haldex-Aktionäre auf mehr als 66 SEK pro Aktie. Am 11.8. verkündete SAF noch, mit dem "aktivistischen" britischen Fonds "Kite Lake Capital Management" über den Erwerb von 10 Prozent Aktienanteil einig zu sein. Das Angebot von 66 SEK werde SAF aber auf keinen Fall erhöhen. Bei zusammen 53,1 kurz vor Fristablauf (25 Prozent erworbene eigene Aktien und 28,1 unwiderrufliche Zusagen) drohte der Deal zu platzen.

Der Chef des schwedischen Aktienfonds "Aktiespararna", Joacim Olsson, sah sich daraufhin am 15.8. nachmittags zu einem ungewöhnlichen, dramatischen Appell veranlasst: "Neue Bedingungen bedeuten, dass die Aktionäre das Angebot für Haldex annehmen sollten", ließ er sich von der schwedischen Wirtschafts- und Finanzzeitung "Dagens Industri" zitieren. Offensichtlich mit Erfolg.

Mit der Auszahlung bzw. Abwicklung der "angedienten" 68,35 Prozent Aktien will SAF Mitte dieser Woche beginnen. Den Besitzern der restlichen 6,65 Prozent wurde angeboten, bis zum 31.8. ebenfalls noch zu verkaufen. Sollte dies nicht passieren, will SAF an der Stockholmer Börse ein rechtlich verpflichtendes "Squeeze Out"- ("Freeze Out")-Erwerbsverfahren einleiten, um die Minderheitsaktionäre gemäß schwedischem Aktiengesetz auszuschließen und alle Anteile auf SAF zu vereinen - mit dem Ziel eines "Delisting" der Haldex-Aktien von der Nasdaq. Auch die Haldex-Führung hat dies am 18.8. bereits beantragt. Die kartellrechtlichen Genehmigungen für die Übernahme hat SAF in Deutschland, den USA und Polen bereits am 10.8. erhalten.

Erbitterter Konkurrenzkampf, Neuaufteilung und Konzentrationsprozess in der Branche

Im Nutzfahrzeug-Bremsenbereich ist Knorr-Bremse Weltmarktführer, danach folgen Wabco und, mit Abstand, Haldex. SAF hatte 2016 schon einmal versucht, Haldex zu übernehmen und damals noch 30,5 Prozent mehr geboten (442 Millionen Euro). ZF hat SAF aber um 20 Millionen Euro überboten, um seinerseits eine strategisch sinnvoll erscheinende Verbindung mit Haldex eingehen zu können. Dazu wollte ZF eine halbe Milliarde Euro in Haldex investieren. Am Ende wurde ZF aber von Knorr-Bremse bei der erbitterten Bieterschlacht um Haldex mit 580 Millionen ausgebootet und hat inzwischen Wabco gekauft. Dabei war - da Knorr direkter Konkurrent von Haldex ist - von vornherein klar: dieser angebliche Übernahmeplan würde schon an den Kartellbehörden scheitern. Am Ende blieb Haldex 2017 für sich. Knorr hat damals, nur um ZF auszustechen, für 53 Millionen Euro Haldex-Aktien gekauft, die man jetzt im Juni für 28 Millionen an SAF abgegeben hat.

Haldex taumelt seit dem Bietergeschacher, zusätzlich geschwächt durch Konkurrenzkampf, Krise und Pandemie Richtung Existenzgefährdung. Der Aktienkurs fiel drastisch. Auch die Haldex-Führung musste im Frühjahr eindringlich auf die "aktuelle Finanzlage des Unternehmens, herrschende Marktbedingungen und Risiken als unabhängiges börsennotiertes Unternehmen" hinweisen. Öffentlich räumte sie ein: "Angesichts der zunehmenden Konzentration auf dem LKW-Markt sind wir allein auf Dauer wohl zu klein."

2021 hatte Haldex in 19 Ländern 2003 Beschäftigte und erzielte einen Umsatz von knapp 450 Millionen Euro. Die meisten Beschäftigten arbeiten in Mexiko (572) und Ungarn (323). (In Deutschland sind es nach der Schließung von Produktion und Entwicklung in Heidelberg seit 2020 nur noch acht.) Das EBITDA (Ergebnis vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen) betrug 52 Millionen Euro. Laut "finanzen.net" lagen die Haldex- Gesamtverbindlichkeiten infolge notwendiger Kreditaufnahmen bei 286 Millionen Euro, bei einem Eigenkapital von 153 Millionen. Aufsichtsrat und Vorstand bettelten zuletzt regelrecht um eine schnelle Übernahme.

SAF-Holland hatte 2018 noch 4470 Beschäftigte. Letztes Jahr waren es 3541, der Umsatz lag bei 1,2 Milliarden Euro. Nachdem Börsenhändler am 8.6. kritisierten, die SAF-Offerte für Haldex basiere vollständig auf Barmitteln, was am Markt "nicht so gerne gesehen" werde, nahm SAF bei Unicredit und der hessischen Landesbank Helaba für den Kauf einen 300 Millionen Euro-Brückenkredit auf (im Verhältnis 50:50).

Die SAF-Nettoverschuldung lag zum 30.6.22 bei 237 Millionen Euro. Der 2021 auf 33,2 Prozent gesenkte Verschuldungsgrad erhöht sich im Zuge der Haldex-Übernahme erneut. Laut Finanznachrichten-Portal "GodmodeTrader" würden durch von Haldex mit zu übernehmende Schulden "rund 100 Millionen Euro" hinzu kommen. SAF hat daher mitgeteilt, auch an die Aufnahme von Eigenkapital in Form einer Kapitalerhöhung zu denken. "GodmodeTrader" nimmt an: Um wieder im geplanten Rahmen der Verschuldung zu liegen, müsse SAF eine Kapitalerhöhung von 10 bis 15 Prozent vornehmen.

Derzeit beträgt der "Leverage" (Quote von Gesamtverbindlichkeiten zu EBITDA) bei SAF 5,1. Langfristig strebe der Konzern an, das Verhältnis von "EBITDA-zu Schulden" auf ein Niveau unter 2 zu bringen. Für 2022 erwartet SAF ein EBIDTA von 155 bis 160 Millionen Euro. Der Kurs der SAF-Aktie im SDAX lag am 19.8. bei 8,60 Euro pro Aktie.

Was erhofft sich SAF von der Übernahme?

Die Haldex-Beschäftigten wurden weltweit am 19.8. von CEO Jean-Luc Desire digital informiert (Desire hat im Juli 2021 Helene Svahn abgelöst): Es sei "derzeitige Absicht" von SAF, die Übernahme "ohne wesentliche Veränderungen der Beschäftigungsbedingungen und Standorte von Haldex" zu vollziehen. So die übliche Floskel. "Konkrete Initiativen" und "Auswirkungen" würden erst "nach Vollzug des kombinierten Geschäfts" festgelegt. Um den Deal so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen, hatte der Haldex-Vorstand tags zuvor beschlossen, bereits am 14.9. eine außerordentliche, digitale Hauptversammlung der Aktionäre einzuberufen, um auch neue Vorstandsmitglieder wählen zu lassen. Vorsitzender soll SAF-CEO Alexander Geis werden. Außer ihm sind mit Wilfried Trepels und Jörg Wahl zwei weitere SAF-Vorstandsmitglieder vorgeschlagen. Geis soll auch Vorsitzender des Board of Directors von Haldex werden.

SAF geht davon aus, dass der Kauf von Haldex ein Synergiepotenzial von mehr als 10 Millionen Euro pro Jahr bringen werde. Mit der Übernahme wolle man "globaler Champion für fahrwerks-/chassis-bezogene Nutzfahrzeugsysteme" werden. Bei "wichtigen Produkten" werde man künftig "weltweit Marktpositionen unter den TOP 3 einnehmen". Damit sei man auch in der Lage, "die Transformation der Branche aktiv voranzutreiben und Megatrends wie Elektrifizierung, Digitalisierung und automatisiertes Fahren mit intelligenten Systemlösungen zu adressieren". So SAF am 30.6. Tatsächlich mangelte es speziell bei Haldex in dieser Hinsicht eher an Entwicklung und Innovation, erst recht nach der Schließung des Heidelberger Werks. Auch wenn Haldex für SAF gegenüber 2016 heute ein Schnäppchen ist und man 139 Millionen Euro weniger berappen muss, wird sich erst zeigen, ob der Zusammenschluss die Träume von mehr Profit wahr werden lässt.

Letzte Änderung: 22.08.2022