Haldex: ZF verschafft Knorr Teilerfolg

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22.08.2017 Durch Enthaltung hat ZF in der Haldex-Aktionärsabstimmung Knorr-Bremse zu einem Teilerfolg verholfen. Letzte Hoffnung von Haldex, eine Zerschlagung zu verhindern, sind die EU-Kartellbehörden.

Am 17.08. fand in Stockholm die von Knorr-Bremse beantragte außerordentliche Hauptversammlung der Haldex-Aktionäre statt. Da ZF sich in der Abstimmung enthielt, konnte Knorr eine notwendige Mehrheit für seinen Antrag erreichen: Die Frist für die Übernahme der dem Münchner Konzern "angedienten" 71,2 Prozent Haldex-Aktien (derzeit 26.09.17) wird bis 09.02.18 verlängert. Die entsprechende Genehmigung durch die schwedische Börsenaufsicht SSC scheint eher Formsache. An der Börse stiegen die Haldex-Aktien zeitweise über fünf Prozent. Ob Knorr-Bremse damit durchkommt, Haldex per "Übernahme" unter sogenannten "Auflagen" zu zerschlagen, hängt nun von der Entscheidung der Wettbewerbsbehörden ab (spätestens 30.11.17).

++"Stoppen Sie den Raubüberfall bei Haldex" ("Dagens industri", Schweden)

Mit dieser Überschrift zitiert und übersetzt die schwedische Börsenzeitung "Di" am 19.08. die Wirtschaftsjournalistin Lotta Engzell-Larsson. Das Langenscheidt-Wörterbuch bietet für ihre Formulierung "rovdriften" auch die Übersetzungen "Raubbau" und "Ausbeutung" an. Sie wirft ZF "Doppelspiel" vor und fordert die SSC auf, Knorr-Bremse keine weitere Verlängerung zu genehmigen. Forderungen nach "strafferer Anwendung der Aquisitions-Vorschriften" und "Gleichbehandlung von Aktionären" werden in Schweden ebenfalls laut. Haldex hat 8 063 Aktionäre. Die Zahl der Aktien liegt bei insgesamt 44,2 Millionen. Die Versammlung mit rund 70 Teilnehmern bestand neben Journalisten aus ein paar Dutzend Aktionären und Bevollmächtigten, die zusammen 23,9 Millionen (54 Prozent) der Aktien vertraten. Größter Haldex-Aktionär ist ZF mit 20,1 Prozent, danach Knorr-Bremse mit 14,9. Hedge-Fonds waren bei der Abstimmung mit 12 Prozent präsent, institutionelle Fonds mit sechs. Ein Prozent der Stimmrechte entfiel auf anwesende Kleinaktionäre.
Für Knorr hat Vorstandsvorsitzender Deller vorgetragen, für Haldex Verwaltungsratsvorsitzender Durban und CEO Bengtsson. Der Vertreter der schwedischen Aktionärsvereinigung (Swedish Shareholder Association) nannte das Vorgehen von Knorr-Bremse zynisch. Knorr habe nur ein Zusammengehen mit ZF verhindern wollen. Nach eineinhalb Stunden wurde einzeln abgestimmt, ZF als letzter. Da Knorr-Bremse aus rechtlichen Gründen in der Abstimmung nicht für seinen eigenen Antrag mitvotieren durfte und sich enthielt, waren letztlich 39,1 Prozent des Unternehmenskapitals stimmberechtigt. ZF hatte mit 20,1 Prozent die Mehrheit. Alle Hedge Fonds haben, wie zu erwarten, geldgierig für den Antrag von Knorr gestimmt, alle privaten Investoren für Haldex. Die institutionellen Fonds haben unterschiedliche Voten abgegeben.
Soweit die Presse über das Ergebnis berichtet hat, wurde nur Knorr-Bremse zitiert, die Abstimmung sei erfolgreich verlaufen. Eine Mehrheit habe Knorr unterstützt, ein "Teil-" oder "Etappensieg". Teilweise war sogar von "95 Prozent Zustimmung" die Rede. Nur wenigen Berichten war zu entnehmen, dass Knorr-Bremse den Abstimmungserfolg allein der Enthaltung von ZF zu verdanken hat. Nirgends stand, dass sich das Ja für Knorr auf nicht mal acht Millionen Aktien-Stimmen (ein Drittel der zur Abstimmung teilnehmenden) bezog. Auf alle 44,2 Millionen Aktien gesehen waren es nur 18,1 Prozent.

++Warum hat ZF Knorr-Bremse nicht gestoppt?

Hier fallen die Antworten unterschiedlich aus. ZF hätte mit einem Nein Knorr-Bremse ausbremsen können. Der Haldex-Vorstand führt in seiner internen Mitteilung an die Beschäftigten aus, ZF habe nicht voll erklärt, warum man sich enthalten habe. Er scheint weiter auf ZF zu hoffen: "Für ZF ist es besser, dass die Behörden den Deal stoppen, was Knorr-Bremse dazu bringen wird, (seine Haldex-Aktien) zu verkaufen." Zwar könne Knorr-Bremse theoretisch auch eine Hauptversammlung einberufen lassen, um das Haldex-Board auszuwechseln. Aber dabei würde sich ZF nach Meinung der Haldex-Führung nicht enthalten. Außerdem habe ZF Einblick in den Kartellprozess und wisse um die geringe Wahrscheinlichkeit einer Genehmigung für Knorr. "Je länger es geht, desto tiefer könnte der Aktienpreis sein, wovon ZF profitiert", so der Haldex-Vorstand weiter wörtlich. Ob sich diese Einschätzungen bewahrheiten, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Sie können auch als Pfeifen im Walde gesehen werden. Denn eine fallende Aktie hat der Vorstand bisher nie begrüßt und schon gar nicht das ständige Hinausziehen einer Entscheidung, was bereits zu einem deutlichen personellen Aderlass bei Haldex geführt hat.
Dass der Friedrichshafener Konzern sich enthalten hat, könnte also auch die Bestätigung dafür sein, dass er selbst an einer Übernahme von Haldex kein Interesse mehr hat - nachdem man vor einem Jahr von Knorr-Bremse ausgestochen wurde und danach seine Aktien ebenfalls Knorr "angedient" hatte. Und nicht nur dies fällt auf. Denn ein Nein von ZF hätte keineswegs zwangsläufig ein eigenes, neues Kaufinteresse bedeutet. Für Haldex wäre damit aber die Tür für eine weitere selbstständige Existenz erstmal wieder offen gewesen. Auch dies hat ZF so nicht ermöglicht. Stattdessen wurde Haldex dem Risiko ausgesetzt, dem stärkeren Konkurrenten Knorr-Bremse zum Fraß vorgeworfen zu werden - falls die EU-Kartellbehörden dem Ende November keinen Riegel vorschieben.
Aus Sicht der 2 000 Haldex-Beschäftigten ein ziemlich schmutziges Geschacher. Die Enthaltung von ZF könnte durchaus bestimmte strategische und finanzielle Gründe haben: Bereits im Herbst 2016 hatten sich ZF-Vertreter anlässlich Besuchen bei Haldex enttäuscht gezeigt. Man habe viel mehr an Know How, Kompetenz und vorhandener personeller Entwicklungskapazität erwartet. Die "Frankfurter Rundschau" (FR) vom 18.08. zitiert "Branchenkenner": Haldex sei "strategisch nicht mehr das, was es einmal war". Dazu kommt, dass ZF für seine Haldex-Aktien rund 100 Millionen Euro (11,27 Euro pro Aktie) ausgegeben hat. Am 17.08. war die Aktie mit 11,51 Euro (109,25 schwedische Kronen) notiert. Das Angebot von Knorr-Bremse beläuft sich auf 125 Kronen (13,19 Euro). Würde der Knorr-Deal platzen, müsste auch ZF infolge des "zu erwartenden tiefen Sturzes der Haldex-Aktie" (FR) einen Großteil seiner 100 Millionen in den Wind schreiben. Im anderen Fall hätte man noch einen netten Mitnahmeffekt von rund 17 Millionen Euro. Damit wäre auch klar, wie die Aussagen von ZF im Vorfeld zu verstehen waren, ZF werde die "Interessen der Haldex-Aktionäre in der Abstimmung verantwortungsvoll wahren".
Darüber hinaus hat ZF (fünf Mal so groß wie Knorr-Bremse) in der Vergangenheit mehrmals Versuche gestartet, den Münchner Bremsenhersteller zu übernehmen. Gescheitert ist dies am heute 76-jähri¬gen Milliardärs-Patriarch und Eigner Thiele, der zu viel an Macht behalten wollte. Nicht auszuschließen ist daher auch, dass ZF es sich für einen möglichen zukünftigen weiteren Kaufversuch mit Knorr-Bremse nicht verscherzen wollte - spätestens, wenn sich das Problem Thiele altershalber lösen sollte. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)" hatte am 14.08.17 vorab festgestellt: "Theoretisch scheinen die Ambitionen von ZF sogar so weit zu gehen, dass Knorr-Bremse zum Übernahme-Kandidaten werden könnte." Denn mit dem erst kürzlich eingefädelten Versuch Wabco zu kaufen, ist ZF-Vorstandsvorsitzender Sommer kurz vor der Unterschrift beim eigenen Aufsichtsrat abgeblitzt.

++Haldex-Führung lehnt Thiele und Co. weiter ab

Deller, der extra aus München nach Stockholm geflogen war, hat nach Ende der Hauptversammlung im Namen seines Herrn verkündet, er erwarte, dass Haldex seinen Widerstand gegen die Übernahme aufgebe: "Wir betrachten das Ergebnis der außerordentlichen Hauptversammlung als bindend für Haldex und erwarten, dass der Verwaltungsrat sich an die Entscheidung der Aktionäre hält und unsere vorbereitenden Maßnahmen und Anstrengungen uneingeschränkt unterstützt." Dies sei der "einzig verantwortungsvolle Weg, um schnellstmöglich Klarheit im Sinne aller Haldex-Stakeholder zu schaffen, Mitarbeiter und Kunden eingeschlossen". Ein Hohn. Deller scheint es kaum erwarten zu können, endlich in der Lage zu sein, dem Konkurrenten und dessen Beschäftigten den Garaus zu machen.
Vorstand und Verwaltungsrat von Haldex sind bei ihrem Nein geblieben. Man halte weiter an der Ablehnung von Knorr-Bremse fest und gebe den Widerstand gegen die "feindliche Übernahme" nicht auf. Vor dem Aktionärstermin hatte die Haldex-Führung eingeräumt: "Wir wissen nicht, wie ZF abstimmt", aber sich offensichtlich falsche Hoffnungen auf den ehemaligen Kaufinteressenten gemacht. Nach der Versammlung ließ Jörgen Durban verlauten, man lehne einen Vorgriff auf die Wettbewerbsbehörden ab und werde die Aktionärsentscheidung nicht umsetzen: "Eine Mehrheit der Aktionäre, hauptsächlich kurzfristig spekulative Eigner haben uns in eine fortgesetzt unsichere Lage gebracht. Die Enttäuschung im Aufsichtsrat über das Verhalten unseres Hauptaktionärs ZF und die Abstimmung darf nicht übertrieben werden. Von der Gesamtbetrachtung her ist sie nicht wichtig. Das Angebot von Knorr-Bremse bedeutet Schaden für Haldex. Wir müssen fortfahren, für unser Unternehmen zu kämpfen. Das Board schätzt die Wahrscheinlichkeit der Genehmigung durch die EU weiterhin als sehr gering ein." Die Zeitschrift "Eurotransport" kommentiert am 17.08.: "Die Angst des Verwaltungsrats: Haldex könnte zerschlagen werden." Viel zu spät hat die Haldex-Führung in der Öffentlichkeit diese Gefahr benannt.

++"Übernahme" durch Knorr "unter Auflagen" wären keine Auflagen, sondern Zerschlagung von Haldex

Die Nutzfahrzeugbremsen-Branche ist bereits in hohem Maße konzentriert. Neben Knorr, Wabco und Haldex gibt es praktisch keine nennenswerten Hersteller; wobei die Marktanteile und Umsätze der ersten beiden sich im fünffachen Bereich von Haldex bewegen. Die EU-Behörden meldeten nach "Phase I" der Prüfungen "ernste Bedenken" an, dass durch eine Übernahme von Haldex der Wettbewerb weiter eingeschränkt werde. Knorr-Bremse hat nach Einleitung von "Phase II mit vertieften Prüfungen" und bei einer möglichen Übernahme zumindest zu erwartender "Auflagen" erklärt, man biete "Zugeständnis¬se" an: Einige der sich mit Knorr überschneidenden Haldex-Produktbereiche sollten weiterveräußert werden (insbesondere Scheibenbremsen in Schweden und elektronische EBS-Bremssysteme in Heidelberg). Man habe dafür bereits Interessenten - wobei klar ist, dass kein möglicher Käufer über das nötige Know How und die Kompetenz verfügen würde, um das Geschäft wirklich fortführen zu können. Abnehmer sind schon jetzt von Haldex zu Knorr und Wabco gewechselt.
Kartell- und Konzentrationsprozesse sind kapitalistischer Alltag. Knorr-Bremse braucht Haldex nicht, den kleineren Konkurrenten loswerden, so oder so, möchte man natürlich gern. Die schwedische Zeitung "Affärsverlden" kommentiert nach der Aktionärsversammlung: "Auch die deutsche Gewerkschaft hat den Übernahmeantrag von Knorr-Bremse als 'Big Bluff" bezeichnet." Dass der kleine schwedische Konzern Haldex machtpolitisch nicht so gute Karten hat gegenüber deutschen Großkonzernen wie Knorr-Bremse (Weltmarktführer für Nutzfahrzeugbremsen) oder ZF (mit Bosch und Continental im Fahrzeugzulieferbereich einer der größten Drei der Welt), liegt auf der Hand.
Würde die EU-Kommission unter der dänischen Vorsitzenden Margrethe Vestager das Manöver von Knorr-Bremse absegnen, im Zuge angeblicher "Auflagen" (in Gestalt von Weiterverkäufen wesentlicher Haldex-Bereiche) den Konkurrenten aus dem Feld zu räumen und aufzulösen, wäre dies allerdings eine neue Qualität von behaupteter "Wettbewerbs-Erhaltung". Selbst die FAZ kommt am 14.08. zu dem Schluss: "Eine unter harten Auflagen von Brüssel abgesegnete Übernahme käme einer Zerschlagung von Haldex gleich." Im Ergebnis wäre die Marktbeherrschung durch Knorr und Wabco perfekt, der eine Konzern mit etwas mehr als der Hälfte Marktanteil, der andere mit etwas weniger. Die betreffenden "Auflagen" für Knorr-Bremse wären tatsächlich das Gegen-teil, Wunschkonzert von Thiele und Deller, um den Konkurrenten Haldex vom Markt zu eliminieren. Für die Haldex-Beschäftigten, insbesondere auch im Heidelberger Betrieb, wäre wohl nach einem Jahr Weiterbeschäftigungsverpflichtung nach § 613 a BGB plus eventueller Schamfrist das Aus vorprogrammiert.
EU-Behörden müssen Knorr einen Riegel vorschieben!

Die Hürde EU sieht aber auch Deller noch nicht übersprungen, er gibt sich vorsichtig. Die schwedischen Zeitungen zitieren ihn in Stockholm: "Es war ein kleiner Schritt in einem langen Prozess." Deller zielt auch auf ein weiteres halbes Jahr Aushungern von Haldex. Unabhängig davon, ob sich die Hoffnungen der Haldex-Belegschaften erfüllen, dass die EU-Kartellbehörden den Machenschaften von Knorr-Bremse eine Absage erteilen, steht fest: "Ein Ziel haben Thiele und Deller schon jetzt erreicht: Ein wichtiger Anbieter (Haldex) ist geschwächt. Ein möglicher Wettbewerber (ZF/Haldex) ist als Konkurrent ferngehalten. Viel gewonnene Zeit für Knorr-Bremse" (FAZ, 14.08.17). Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg haben darauf seit Herbst 2016 hingewiesen, auch die FAZ hat dies nun übernommen.

Letzte Änderung: 22.08.2017