Knorr-"Zugeständnis": Haldex auflösen

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07.08.2017 Knorr-Bremse-Chef Deller macht EU-Kartellbehörden vergiftetes "Angebot": "Weiterveräußerung" von Haldex-Scheibenbremsen und -Bremssteuerungsgeräten.

Der seit 05.09.16 laufende Deal Knorr-Bremse-Haldex nähert sich dem Show Down. Für 17.08. wurde auf Antrag von Knorr eine außerordentliche Haldex-Aktionärsversammlung einberufen: Abstimmung, ob der Haldex-Vorstand entgegen seiner jüngsten Stellungnahme Knorr-Bremse weiter unterstützen und eine erneute Verlängerung der Aktienübernahmefrist von derzeit 26.09.17 bis 09.02.18 mittragen soll. Die schwedische Börsenaufsichtsbehörde "Swedish Securities Council (SSC)" beschließt in Kürze über diesen Antrag. Die EU-Kartellbehörden müssen bis 30.11.17 endgültigen entscheiden, ob sie dem Übernahme-Deal unter den von Knorr vorgeschlagenen Auflagen die Genehmigung erteilen.

Der Haldex-Verwaltungsrat hat am 04.08. den SSC aufgefordert, noch vor dem 17.08. über einen von Haldex gestellten Antrag zu entscheiden, wonach es Knorr-Bremse nicht gestattet sein soll, das Angebot fortzusetzen. Die schwedische Wirtschaftszeitung "Dagens industri (Di)" sieht den Haldex-Vorstand "auf den Barrikaden". Knorr-Bremse erklärte umgehend, Haldex erwecke irreführend den Eindruck, der SSC werde darüber vor dem 17.08. entscheiden. Man habe vom SSC Gelegenheit erhalten, bis spätestens 11.08. die eigene Sichtweise zum Haldex-Antrag darzulegen und werde dies rechtzeitig tun. Knorr lehne es ab, dass über den Antragsgegenstand entschieden werde, bevor die Aktionäre die Möglichkeit hatten zu entscheiden, ob der Haldex-Vorstand den Antrag von Knorr-Bremse auf Verlängerung der Frist unterstützen soll.

+EU-Kartellbehörden könnten Treiben von Knorr-Bremse beenden

Selbst wenn Knorr-Bremse sich mit einer Verlängerung der Aktien-Übernahmefrist durchsetzen sollte, braucht der Konzern für die eigentliche Übernahme die Genehmigung der Kartellämter der EU und der US-Justiz ("Department of Justice, DOJ"), Die EU-Behörden hatten am 24.07. verkündet, aufgrund "wettbewerbsrechtlicher Bedenken" in "Phase II" mit "eingehender Prüfung" einzutreten. Sie kann 90 Arbeitstage bis maximal 30.11.17 dauern. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (Dänemark): "Knorr-Bremse und Haldex sind neben Wabco zwei der weltweit größten Hersteller von Nutzfahrzeugbremssystemen. Die EU-Kommission hat Bedenken mit Blick auf eine Reihe von Märkten. Dies gilt etwa für elektronische Bremssysteme (EBS) und Scheibenbremsen für LKW und Anhänger" ("Handelsblatt", 24.07.17). Ähnlich äußerten sich die US-Behörden.

Knorr-Bremse, Wabco und Haldex sind in der Branche marktbeherrschend, mit zusammen über fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Auf Knorr-Bremse entfallen rund 47, auf Wabco 44 und auf Haldex neun Prozent. Mit der Übernahme von Haldex hätte Knorr-Bremse nicht nur deutlich mehr als die Hälfte Marktanteil, sondern könnte zusammen mit Wabco Abnehmern auch die Lieferbedingungen diktieren. An anderen Lieferanten gibt es im Wesentlichen nur noch sogenannte "Kopier-Unternehmen" (in Asien). In einem ersten "Feedback" am 28.06. hatten die EU-Behörden von möglichen Markt- und Wettbewerbs-Einschränkungen aufgrund Produkt-Überschneidungen Haldex - Knorr gesprochen, bezogen auf sechs der acht Haldex-Geschäftsfelder. Laut Haldex betrifft dies über die Hälfte des Umsatzes. Board und Vorstand sahen sich veranlasst, ihre Unterstützung für das Knorr-Angebot zurückzuziehen. Auch einer möglichen Verlängerung der Aktienübernahmefrist durch die schwedische Börsenaufsicht werde man widersprechen. Die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme-Genehmigung durch die Kartell-Behörden sei "sehr gering", eine Verlängerung der Aktien-Frist würde nur "weiteren Schaden für Haldex" bedeuten.

+"Produktbereiche weiterveräußern", sprich Haldex zerlegen wäre auch Plattmachen

Haldex hat eine integrierte Struktur, die einzelnen Werke stellen vielfältige Produkte her. Entwicklungszentren arbeiten an Produktkombinationen. Sogenannte "Abhilfe-Pläne" seitens Knorr im Hinblick auf Wettbewerb seien deshalb laut Haldex von den EU-Behörden als "nicht ausreichend" angesehen worden. Haldex habe auch sein Einverständnis zu Risiko-Prüfungen durch potenzielle Erwerber gegeben ("Due diligence"). Vorschläge für Weiterveräußerungen hätten sich aber im Zuge der Untersuchungen als "sehr kompliziert" erwiesen. Sie seien weder akzeptabel noch möglich. Außer einem Werk seien alle Haldex-Betriebe betroffen. Mögliche Kaufinteressenten für Produkte bedürfen ebenfalls der Genehmigung der EU- und US-Behörden. Käufer müssen über bestimmte Voraussetzungen und Technologie-Kompetenz verfügen, insbesondere im Hinblick auf Sicherheitsbestimmungen. Dazu braucht es in dem Bereich lange Erfahrung, um Know How und Lieferkapazität zu erreichen: "Wie Knorr-Bremse solche Käufer aufbringen will, ist für uns nicht ersichtlich" (Haldex). Auch eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, wenn aufgesplittet werde, sei sehr schwierig.

Anfang Juli hatte das Haldex-Board vermutet, dass Knorr-Bremse in der Aktionärs-Versammlung am 17.08. keine Mehrheit erhält. Ob die Kohle-geilen Hedge-Fonds und 8 000 Kleinaktionäre tatsächlich so abstimmen oder lieber weiter auf Knorr-Bremse und seine Cash-Blase setzen, wird sich zeigen. Inzwischen hat Haldex in einer fünfseitigen Stellungnahme vom 02.08. mitgeteilt: Man werde auf jeden Fall beim Nein zu Knorr-Bremse bleiben, unabhängig vom Ausgang einer Abstimmung am 17.08. Eine weitere Verlängerung würde den Wert von Haldex und die Chancen der Aktionäre mindern, ein neues Angebot zu erhalten oder von nachhaltigem Wachstum auf Basis von Eigenständigkeit zu profitieren. Laut schwedischem Recht ("Swedish Companies Act") dürfe einem Aktionär (Knorr-Bremse) kein "un¬ebührlicher Vorteil" zum Nachteil anderer verschafft werden. Verstöße dagegen seien Verletzung von Eigentümer-Interessen und würden Strafen nach sich ziehen. Unternehmen dürften in Schweden nicht länger als neun Monate durch einen Übernahme-Prozess belastet und vom eigentlichen Geschäft abgehalten werden. Knorr-Bremse wolle 17 Monate.

Wie der Haldex-Vorstand außerdem am 02.08. erklärt hat, habe man infolge des Übernahmeprozesses mit bestimmten Kunden keine Langzeit-Verträge abschließen können. Diese würden auch ein sogenanntes "Zwei Lieferanten"-System anwenden, um Risiken zu vermeiden. Oft seien Knorr-Bremse und Haldex beide Lieferanten. Aufgrund der derzeitigen Lage hätten Abnehmer bei acht Haupt-Lieferverträgen (drei in Europa, fünf in USA) erklärt, so lange nicht abzuschließen, bis die Eigentümer-Situation geklärt sei. Dies entspreche einem jährlichen Volumen von über 52 Millionen Euro. In einigen Fällen habe Haldex die Kosten für Entwicklung selbst übernommen. In zwei Fällen seien die Verträge mit LKW- und Trailer-Herstellern (jährlich 14 und sieben Millionen Euro) bereits endgültig verloren. Nicht zu ersetzende Ingenieure und Spezialisten hätten Haldex bereits verlassen. Weitere Kündigungen drohen. Aufgrund des Übernahme-Prozesses habe Haldex zehntausende Stunden aufwenden müssen, dem sogenannten Knorr-"Clean-Team" virtuellen Zugang zu mehr als 1 000 Dateien verschafft und allein die US-Behörden mit 307 000 Dokumenten versorgt. An Kosten für Anwälte und Berater seien fast fünf Millionen Euro angefallen.

Knorr-Bremse-Vorstandschef Deller, hat am 03.08. zu den Weiterverkäufen von Haldex-Geschäftsfeldern erklärt: In Phase II müsste die EU-Kommission Beweise liefern. Knorr-Bremse habe genaue Angaben "auf technischer, rechtlicher und Wettbewerbsseite" gemacht und sich dies einen zweistelligen Millionenbetrag kosten lassen. Deller, Adjutant von Eigner und Milliardär Thiele, im Interview mit "Reuters": "Wir haben Zugeständnisse auf den Gebieten ‚Scheibenbremse" und ‚Bremssteuerung" angeboten. Wir haben für beide Produktbereiche Käufer gesucht und Angebote auf dem Tisch liegen." Gegenüber der schwedischen Wirtschaftszeitung "Dagens industri (Di)" hatte Deller tags zuvor losgelassen: "Knorr-Bremse wird Hal¬dex entwickeln und ist Garant für den weiteren Erfolg des Bremsenherstellers. Alle Unternehmen, die Teil unserer Familie geworden sind, sind gewachsen und erfolgreich geworden."

+Haldex-Vorstand: "Knorr-Bremse will Haldex nur obstruieren und loswerden" - Betriebsrat und IG Metall weisen darauf seit Herbst 2016 hin

Unabhängig vom Witzgehalt von Dellers Behauptungen - einen direkten Konkurrenten wie Haldex hat Knorr-Bremse zum Glück noch nicht schlucken können. Scheibenbremsen (Schweden) und Bremssteuerungsgeräte (Heidelberg, Ungarn) und das zugehörige Ventile-Umfeld machen den Löwenanteil der Haldex-Produkte aus. Nach der behaupteten "erfolgreichen Weiterentwicklung" bliebe von Haldex in Heidelberg nur noch der Bereich Luftfederung, in Ungarn Gestängesteller und in Nordamerika Gestängesteller und Bremszylinder. Die wichtigsten Haldex-Produkte wären bei Käufern, die kein Know How dafür haben, der Rest ohnehin nicht mehr so interessant - besser könnte es für Knorr-Bremse nicht laufen. Das "Zugeständnis" des Weiterverkaufs von Scheibenbremsen und -EBS wäre eine Zerlegung, die auf Auflösung des Konkurrenten Haldex hinauslaufen würde.

Nichts Anderes hatten Thiele, Deller und Co von Anfang auch im Blick. 583 Millionen Euro Kaufpreis wollten sie nie hinlegen, weil man Haldex gar nicht braucht. Einen offiziellen Übernahme-Antrag hatte Knorr erst am 1. Juni eingereicht, nach neun (!) Monaten. Der Konkurrent sollte möglichst lang am ausgestreckten Arm verhungern. Betriebsrat und IG Metall Heidelberg haben darauf seit Herbst 2016 immer wieder hingewiesen. Der Haldex-Vorstand legte erst im Frühjahr 2017 Skepsis an den Tag und ist erst nach dem "Feedback" der EU-Kartellbehörden Ende Juni umgeschwenkt. Am 07.07. Haldex wörtlich: "Wenn die Hauptproduktbereiche verkauft würden, ist es schwierig, den Sinn der Übernahme zu verstehen. Die Fortsetzung dieses Prozesses kann nicht ernst sein. In seiner Verlängerung können wir keinen einen anderen Grund sehen als den zu versuchen, Haldex zu obstruieren und loszuwerden." Den Vorwurf, warum man dies erst nach über einem halben Jahr erkannt hat oder öffentlich äußert, kann der Vorstand nicht unter den Tisch kehren.

Belegschaft, Betriebsrat, Vertrauenskörper und IG Metall Heidelberg haben in zwei Schreiben an Knorr-Bremse im Dezember und Mai für den Fall einer Übernahme den Erhalt aller Arbeitsplätze, Standorte und Tarifverträge gefordert. Ebenso vehement haben sie sich gegen eine Filetierung und Zerlegung von Haldex gewandt. Inzwischen hat Deller am 03.08. seine Antwort in dankenswerter Offenheit über das "Handelsblatt" nachgereicht: "Er könne gut verstehen, dass alle Beteiligten Klarheit wollten, auch die Beschäftigten. Zugeständnisse an die Haldex-Arbeitnehmer macht Deller aber nicht: 'Es gibt keinen Freifahrt¬chein, keine Bestandsgarantie für irgendeinen Standort - auch nicht bei Knorr-Bremse.' Ziel der Übernahme sei, gemeinsam mit Haldex zu wachsen. Die Frage, ob dies bedeute, dass keine Stellen abgebaut würden, ließ der Manager offen: 'Jeder Standort hat die Freiheit, um für sich zu kämpfen."

+Übernahme-Karussel dreht sich immer schneller - vorwärts und rückwärts

Seit Monaten gibt es Gerüchte, dass Knorr-Bremse auch eine Übernahme des LKW-Achsenherstellers SAF Holland (Aschaffenburg) vor hat. SAF ist größter Kunde von Haldex-Scheibenbremsen. Ein Kreis würde sich schließen. Bei Haldex ist ZF größter Aktionär, seit Herbst 2016 mit 20 Prozent. Knorr-Bremse hält 15, dazu 71 Prozent, die Knorr "angedient" sind. Der HaldexVor¬stand scheint, neben Hoffnungen auf eine eigenständige Unternehmens-Fortführung, offenbar wieder darauf zu setzen, dass ein anderer Kaufinteressent, insbesondere ZF Haldex übernimmt, falls Knorr scheitert. Allein könnte Haldex notwendige Zukunfts-Investitionen, insbesondere im Bereich neue EBS-Generation finanziell kaum stemmen. Ob Taktik oder nicht - öffentlich fällt ZF-Boss Sommer Haldex aber aktuell in den Rücken, macht weiter auf kalte Schulter, nachdem er 2016 von Knorr ausgebootet wurde: "Im Augenblick gehen wir davon aus, dass der geplante Kauf von Haldex durch Knorr erfolgreich abgeschlossen wird. ZF wird seine Aktien andienen und im Sinne des Unternehmens Haldex verantwortlich handeln. Die Beteiligung an Haldex hat dann keinen weiteren Bestand mehr in der ZF-Strategie" (nach "Schwäbischer Zeitung", 03.08.17).

2015 hat ZF für 12,4 Milliarden Euro den US Fahrzeugzulieferer TRW gekauft. Das "Wall Street Journal" hat berichtet, kürzlich sei ZF mit dem Versuch gescheitert, Wabco zu schlucken. Die Gespräche über eine Übernahme für "sechs bis acht Milliarden Euro" hätten sich "in einem fortgeschrittenen Stadium" befunden, die Prüfung der Wabco-Bücher ("Due Diligence") sei bereits abgeschlossen gewesen. Danach habe aber der Aufsichtsrat die Pläne des Vorstands gestoppt: "ZF bremst ZF aus", titelte der "Südkurier" am 26.07. ZF Friedrichshafen ist Stiftungs-Unternehmen. 93,8 Prozent hält die Zeppelin-Stiftung, die vom Gemeinderat der Stadt am Bodensee kontrolliert wird. Sommer hat im Juni vielsagend "Eingriffe der Lokalpolitik in die operative Unternehmens-politik" moniert. Offensichtlicher Grund: Platzen des Wabco-Deals.

Unabhängig vom Übernahme-Karussel der Konzern-Bosse - für die Haldex-Belgeschaften wäre existenziell wichtig, dass die Kartellbehörden das Treiben von Knorr-Bremse endlich stoppen.

Letzte Änderung: 07.08.2017