Knorr-Bremse endgültig ausgebremst

IG Metall

21.09.2017 Am Ende musste der Weltmarktführer Nutzfahrzeugbremsen eine "herbe Schlappe" ("Handelsblatt") erleiden - die feindliche Übernahme des Konkurrenten Haldex ist vom Tisch.

Am 19.09.2017, nach einem Jahr und zwei Wochen, war es endlich so weit: Der Konzern Knorr-Bremse musste seinen Versuch, den Konkurrenten Haldex zu "übernehmen", sprich zu zerschlagen, beenden. Das Übernahmeangebot von 125 schwedischen Kronen pro Haldex-Aktie (582 Millionen Euro) und der Antrag im Rahmen des EU-Kartellverfahrens wurden zurückgezogen. Die peinlich-lächerliche Begründung in der dreiseitigen Knorr-Pressemitteilung: "Unser Ansatz war stets eine freundliche Übernahme. Der Haldex-Verwaltungsrat hat aber die erforderliche Unterstützung und Kooperation verweigert."

Tatsächlich hatte die schwedische Börsenaufsicht SSC zuvor am 07.09. eine vierte Verlängerung der Aktienübernahmefrist vom 26.09. bis 09.02.2018 abgelehnt. Und eine Ablehnung der Übernahme durch die EU-Kartellbehörden bis spätestens 30.11. stand mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls bevor, nachdem diese bereits im Juni aus Wettbewerbsgründen "ernste Bedenken" geäußert hatten. Milliardär Thiele und sein Adjutant, Vorstandsboss Deller, sahen sich gezwungen, dieser weiteren Klatsche aus Brüssel durch ihren Schlussstrich zuvor zu kommen: "Knorr-Bremse beugt sich den Realitäten" ("Oberbayrisches Volksblatt", 20.09.17).

Zwar hätte man zu gern ein weiteres halbes Jahr an Haldex gebohrt, um den kleineren schwedischen Konzern noch mehr zu schwächen und auszuhungern. Um Übernahme und Fortführung von Haldex war es ohnehin nie gegangen, sondern um Zerlegung ("Weiterveräußerung von Haldex-Bereichen aufgrund Überschneidungen") - was die Zerschlagung von Haldex bedeutet hätte. Am 07.09, hatte Knorr zunächst noch erklärt weiter machen zu wollen und auf eine positive Entscheidung aus Brüssel zu hoffen. 12 Tage später dann aber der Rückzug - nicht ohne Haldex noch die Drohung hinterherzuschicken: "Hinsichtlich unserer Beteiligung an Haldex werden wir als verantwortungsbewusster Aktionär auftreten und unsere Optionen im besten Sinne des Unternehmens und von Knorr-Bremse nutzen" (nach "Eurotransport", 19.09.)

Thiele wäre auch nicht Thiele, wenn er das Platzen und erzwungene Abblasen des Haldex-Deals am 19.09. nicht gleichzeitig mit einem neuen "Zukunfts-Highlight" seines Imperiums verknüpft hätte: Derzeit werde "vorrangig und intensiv geprüft", für 2018 den "IPO (Initial Public Offering") zu vollziehen, den Börsengang von Knorr-Bremse. Da sein Konzern an der Börse auf acht Milliarden Euro geschätzt wird, würde Thiele unter Beibehaltung der Stimmrechtsmehrheit runde vier Milliarden einsacken und könnte sich noch mehr als "Angreifer" auf dem Markt zu betätigen.

Wie kann es bei Haldex und im Werk Heidelberg nun weiter gehen?

Bei Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall in Heidelberg ist die Tatsache des Stopps, also nicht von Knorr-Bremse geschluckt, zerlegt und nach einem Jahr ausradiert zu werden, mit Erleichterung aufgenommen worden. Ein Jahr Widerstand gegen Knorr-Bremse, unter anderem auch in zwei Offenen Briefen an Thiele, Deller und Co. deutlich zum Ausdruck gebracht, haben sich gelohnt. Euphorisch wie bei Board und Vorstand von Haldex fällt die Freude bei den Beschäftigten aber nicht aus. Die Schwierigkeiten und Fragen, wie es strategisch und personell weiter geht, bleiben. Haldex hat im Zuge des von Knorr über ein Jahr hingezogenen Deal/Bluffs nicht nur Aufträge und Kunden verloren, sondern auch Beschäftigte. Wie die unabdingbar notwendigen Zukunftsinvestitionen vorgenommen und finanziert werden sollen, ist im Konzern unklar.

Die Haldex-Führung hat bis zuletzt auf einen Wiedereinstieg des ehemaligen Bieters ZF gesetzt. ZF hatte 2016 sein Angebot für Haldex mit der Investitions-Ankündigung von einer halben Milliarde Euro verbunden. Die "Frankfurter Allgemeine (FAZ)" spekuliert jetzt am 20.09. "Ohne den größten Anteilseigner von Haldex (ZF) kann niemand etwas ausrichten. Auch dürften die Friedrichshafener nun gemeinsame Projekte mit den Schweden erwägen, um in einem bislang nicht vertretenen, aber wachsenden Segment mit dem Angebot von Spezialbremsen präsent zu sein."

Seit der öffentlichen Absage von ZF am 07.09.17 nach dem Stopp für Knorr durch die SSC sind aber auch die Hoffnungen des Haldex-Vorstands auf einen starken und finanzkräftigen Partner gedämpft. Auch nach dem endgültigen Rückzug von Knorr-Bremse hat ZF seine Aussage nochmals bestätigt: "Wir haben keinen Grund erneut ein Angebot für Haldex abzugeben" (nach "Schwäbische Zeitung", 19.09.17). Die "Stuttgarter Zeitung" glaubt: "Derzeit versuchen die Friedrichshafener das nötige Know How für den LKW-Bereich selbst zu erarbeiten."

In Schweden hat die Presse seit Herbst 2016 klar gegen Knorr-Bremse Stellung bezogen, zum Teil in 110 Artikeln. Am 18.09. hat das schwedische "Corporate Governance Board" anlässlich des Haldex-Geschachers auch Vorschläge zur Überarbeitung der Aktien-Übernahmeregeln veröffentlicht. An eine Rückkehr von ZF bei Haldex scheint man aber in der Öffentlichkeit seit vorgestern weniger zu glauben: "Die finanziellen Mittel von ZF hätten wahrscheinlich dazu beigetragen, Haldex eine lukrative Zukunft zu bieten. Dass ZF am 19.09. nachmittags angekündigt hat, keinen Grund zu haben, Haldex ein neues Angebot zu unterbreiten, muss als traurige Nachricht eingestuft werden" ("Affärsvärlden", Börsenzeitung, 19.09.17).

Auch der erste Bieter für Haldex, SAF Holland (LKW-Achsenhersteller, Aschaffenburg) hält sich bezüglich Haldex bedeckt, ist laut Branchen-Kreisen selbst vor der Gefahr eines feindlichen Übernahmeversuchs durch Knorr-Bremse nicht sicher. Die Eigentumsstruktur von Haldex bleibt prekär. ZF hält 20,1 Prozent der Aktien, Knorr-Bremse 14,9 Prozent. Dahinter folgen eine größere Zahl Hedge-Fonds, die scharf auf Cash und neue Bieter sind. Der Aktienkurs ist nach dem Rückzug von Knorr bisher um rund vier Prozent von 106 auf 102 Kronen pro Aktie gesunken. Wenn es dem Haldex-Board nicht gelingt, baldmöglichst eine stabile, langfristig und nachhaltig interessierte Eignerstruktur hinzubekommen, wird dies die Probleme erneut erhöhen.

Ob selbstständig oder nicht - gleichzeitig müssen bei Haldex strategisch, operativ und hinsichtlich Produktentwicklungen die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Branchenzeitung "Automobilwoche" meint dazu am 19.09.: "Bleibt die Frage, wie sich Haldex künftig gegenüber seinen wesentlich größeren Wettbewerbern Knorr-Bremse und Wabco am Markt behaupten will und wie die Wachstumsstrategie des Unternehmens aussieht. Ohne Partner wird es in einer immer komplexeren und zunehmend vernetzten Lastwagenwelt wohl kaum gehen."

Für Heidelberg mit derzeit 110 Beschäftigten steht ein weiteres Datum im Blickfeld: Die Laufzeit des 2014/15 abgeschlossenen Interessenausgleichs- bzw Standortvertrags zwischen Haldex und IG Metall geht bis 30.06.2018. Aus Sicht von Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall ist unabdingbar, dass rechtzeitig langfristige Vereinbarungen getroffen werden, um den Beschäftigten weiterhin Existenz, Zukunft und Perspektive zu garantieren.

Letzte Änderung: 21.09.2017