Knorr bei Haldex erstmal ausgebremst

IG Metall

07.09.2017 Die schwedische Börsenaufsicht hat heute eine weitere Verlängerung der Haldex-Aktienübernahmefrist abgelehnt. Knorr-Bremse, der Welt­marktführer für Nutzfahrzeugbremsen, will trotzdem weiter bohren.

"Schwerer Rückschlag", "Knorr-Bremse Schlag versetzt", "Haldex könnte Übernahme duch Knorr-Bremse entkommen" - mit diesen Überschriften haben sich kurz nach Börsenöffnung am 07.09. schwedische und deutsche Pressemeldungen im Internet überschlagen. Der Antrag von Knorr-Bremse, die Frist für die Übernahme der 71,2 Prozent "angedienten" Haldex-Aktien ein weiteres Mal bis 09.02.18 verlängert zu bekommen (insgesamt 17 Monate), wurde nun von der Schwedischen Börsenaufsicht SSC doch abgelehnt. Eine nochmalige Verlängerung sei mit den schwedischen Übernahmeregelungen nicht vereinbar, die eine maximale Frist von neun Monaten vorsehen, so die Börsenaufsicht. Der über ein Jahr laufende Deal von Knorr, den Konkurrenten Haldex zu "übernehmen", sprich zerlegen und zer­schlagen zu kön­nen, ist damit voräufig geplatzt. Dass Thiele, Deller und Co in zweieinhalb Wochen bis 26.09. noch eine Übernahme-Genehmigung durch die EU-Kartellbehörden erhalten (deren Ent­scheidung war bis 30.11.17 angekündigt) ist nicht zu erwarten. Knorr wird damit sein Aktienange­bot von September 2016 (125 schwedische Kronen pro Aktie) erstmal zurückziehen müssen. Ges­tern lag der Kurs bei 109, heute Mittag bei 107 Kronen. Schwedische Börsenbeobachter ziehen be­reits einen bevorstehenden "großen Zusammenbruch Tausender Aktien" in Erwägung.

Der Haldex-Vorstand hat sich unmittelbar nach der SSC-Entscheidung erfreut und euphorisch geäu­ßert und bei den Beschäftigten für das Durchhaltevermögen bedankt. Gegen die "feindliche Über­nahme" durch Knorr-Bremse hatte er sich öffentlich erst im Juni 2017 nach "ernsten Bedenken" der EU-Be­hörden gewandt, nachdem man zuvor Knorr-Bremse im Anschluss an das 2016 erfolgte Aus­stechen von ZF noch unterstützt hatte.

Jetzt erklärt der Haldex-Vorstand: "Diese Botschaft wird unsere Mitarbeiter, Kunden und langfristi­gen Aktionäre begeistern, weil mit einem Schlag viel von der Unsicherheit beseitigt ist, die unser Ge­schäft für eine sehr lange Zeit geprägt hat. Viele von Landskrona und in unseren anderen Ein­richtungen rund um die Welt werden heute sicher aufatmen." Der Börsen-Ausschuss habe die "ein­zig mögliche Entscheidung" getroffen. Man verbinde dies mit der Hoffnung, "dass der Umgang mit diesem Problem zu einer dringend notwendigen Diskussion über die Gestaltung und Anwendung der Aktienübernahme-Regeln" führe. Es sei "offensichtlich, dass der bestehende Rechtsrahmen und die Anwendung Mängel haben".

Wie ist die Entscheidung des SSC zustande gekommen?

Noch Anfang August hatte die schwedische Börsenaufsicht einen Antrag von Haldex abgelehnt, der von Knorr-Bremse eingereichten Übernahmfrist-Verlängerung noch vor der Haldex-Aktionär­s-Hauptversammlung am 17.08. die Zustimmung zu verweigern. In der Versammlung hat Knorr eine Ab­stimmungsmehrheit für eine Verlängerung erreicht, da der ehemalige Bieterkonkurrent und größ­te Hal­dex-Aktionär ZF sich enthalten hat. Insofern überrascht die jetzige gegenteilige Entscheidung des Bör­sen-Ausschusses. Offensichtlich ist es aber in der schwedischen Öffentlichkeit, nicht nur in der Presse, sondern auch in Wirtschaftskreisen in den letzten Wochen zu immer größeren Druck ge­kommen, sich dem "Raubüberfall" ("Dagens Industri") durch den Weltmarktführer Nutzfahrzeug­bremsen und seinem Drang, den kleineren schwedischen Konkurrenten zu ver­nichten, entgegen zu stellen..

Ständig hatten zuletzt schwedische Presseorgane in Artikeln und Kommentaren gegen Knorr-Brem­se und den Börsenausschuss Front gemacht. Die Zeitung "Affärsvärlden" hat zum Beispiel seit letz­tem Herbst 106 (!) Artikel dazu verfasst. In Börsenkreisen wurde kritisiert, angesichts der Entwick­lung frage man sich, ob und wozu man die SSC-Aufsicht überhaupt noch brauche. Wirtschafts-Ex­perten wie Erik Nerep, Profes­sor für schwedisches und internationales Wirtschaftsrecht an der "Stockholm School of Economics", erklärten, eine weitere Verlängerung bis 2018 laufe dem Akti­engesetz zuwider: "Das Gremium (Haldex-Board) ist in erster Linie der Haldex-Aktiengesellschaft verpflichtet, nicht je­doch einzelnen Aktionären und Gruppen von Aktionären, es sei denn, es kommt eine Weisung im Konsens zustande. Das ist hier nicht der Fall, denn die Weisung (auf Verlän­gerung) ist auf der Hauptversammlung nicht im Konsens erfolgt." Der Haldex-Vorstand könne, so Erik Nerep Ende August, die Anweisung gar nicht befol­gen, ohne das Gesetz zu brechen. Folglich sei diese zu ignorieren, auch eine Anfechtung des Votums der Hauptversammlung wäre erfolgreich. Die­sem öffentlichen Druck konn­te sich auch die SSC nicht entziehen, ohne ihre eigene Existenzber­echtigung in Fra­ge zu stel­len.

Knorr-Bremse will trotzdem weiter bohren

Knorr-Bremse ließ am Morgen in einem ersten Statement verlauten: "Wir haben die Entscheidung zur Kenntnis genommen. Wir hätten uns eine andere gewünscht, werden die Situation nun prüfen und uns in Kürze dazu äußern." Die "Kürze" dauerte. Nach 11 Stunden Funkstille und Konferenzen mit Beratern und Anwälten gab Knorr am Abend folgende Pressemitteilung heraus: "Knorr-Bremse prüft derzeit die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Kartellfreigabeverfahrens vor dem Hinter­grund der SSC-Stellungnahme. Demnach ist die SSC bereit, Knorr-Bremse die Unterbreitung eines neuen Angebots innerhalb von drei Wochen nach einer positiven Entscheidung der Kartellbehörden zu erlauben." Vorstandsvorsitzender Deller: "Wir werden die Argumentation der SSC genau analy­sieren und sorgfältig alle Optionen abwägen, um die Interessen aller Stakeholder und die unseres Unternehmens zu schützen. Wir werden eine Fortsetzung des Prozesses genau prüfen vor dem Hin­tergrund, dass der Haldex Verwaltungsrat wiederholt gesagt hat, Haldex werde die Entscheidung der Hauptversammlung nicht umsetzen und im Kartellfreigabeverfahren nicht kooperieren." Knorr-Bremse-Eigner und Milliardär Thiele und seine rechte Hand wollen nicht aufhören, sondern weiter bohren. Zu gern möchte man Haldex noch ein weiteres halbes Jahr schmoren und verhungern las­sen.

Zukunft und Arbeitsplätze von Haldex bleiben weiter unsicher

Knorr-Bremse ist mit 14,9 Prozent der Aktien nach ZF (20,1) nach wie vor zweitgrößter Hal­dex-Aktionär. Selbst wenn ZF einen neuen Haldex-Übernahmeanlauf starten würde, könnte Knorr-Bremse dieser Verbindung weiterhin genug Knüppel in den Weg werfen. Weder der eine noch der andere kann oder könnte unter den derzeitigen Voraussetzungen den Deal abschließend zu Ende bringen. Auch der Haldex-Vorstand hatte daher zuletzt die Ansicht geäußert, eine Ablehnung von Knorr-Bremse durch die EU-Wettbewerbsbehörden würde mehr und entscheidend Klarheit bringen. Ob es noch zu einem sol­chen EU-Bescheid kommt, ist unklar. Für Haldex bleibt als Perspektive die weitere Selbst­ständigkeit. Das Problem dabei: Haldex ist nach über ei­nem Jahr Geschacher enorm geschwächt, sowohl fi­nanziell als auch personell, wie auch der Haldex-Vor­stand selbst eingeräumt hat.

Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall Heidelberg begrüßen es, dass die schwedische Börsen-Be­hörde Knorr-Bremse endlich gestoppt hat. Für Euphorie ist aber kein Anlass. Die Lage bleibt weiter ungewiss. Haldex kann nur durch die richtigen strategischen Entscheidungen stabilisiert werden.

Letzte Änderung: 07.09.2017