Haldex-"Deal": Knorr am Auffliegen

Vorschaubild

03.07.2017 EU-Kartellbehörden gehen Richtung Ablehnung der Haldex-Übernahme durch Knorr-Bremse. Knorr verlangt außerordentliche Aktionärsversammlung.

Ende Juni ist das eingetreten, was Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg von Anfang an ausgesprochen haben: Die seit September 2016 als "Übernahme-Deal des Jahres" durch die Presse gegangene Ankündigung von Weltmarktführer Knorr-Bremse, Konkurrent Haldex kaufen zu wollen, ist ein riesiger Bluff. Jetzt steht er kurz vor dem Platzen. Von der Presse (mit Ausnahme der Rhein-Neckar-Zeitung) unbemerkt, hatte Knorr am 1. Juni (nach neun Monaten!) einen offiziellen Antrag auf Übernahme des direkten Konkurrenten Haldex bei den EU-Kartellbehörden eingereicht. Damit hatten die Behörden "innerhalb 35 Arbeitstagen" bis 20.07. zu entscheiden. Bereits für Ende Juni kündigten sie aber ein erstes "Feedback" an. Inhalt: "Eine Genehmigung der Übernahme durch die Wettbewerbsbehörden ist sehr unwahrscheinlich" (Haldex-"Board of Directors" am 29.06. kurz nach Mitternacht). Die Medien-Schlagzeilen überschlagen sich seither wieder: "Haldex will Knorr-Bremse loswerden", "Übernahme wackelt immer stärker" ("finance-magazine").

Knorr will das Geschacher weiter bis 2018 hinziehen

Knorr-Bremse macht im Nutzfahrzeugbereich mit 9 700 Beschäftigten 2,5 Milliarden Umsatz, Haldex mit 2 100 Beschäftigten 500 Millionen Euro. Knorr reagierte postwendend und reichte bei der schwedischen Aktienaufsichtsbehörde einen Antrag auf Genehmigung einer weiteren Verlängerung der Aktienannahmefrist bis 9. Februar 2018 ein (zunächst galt 28.02., dann 16.06., derzeit 26.09.17). Nun trat ein, was viele Haldex-Beschäftigte längst erwartet hatten: Mit dem ablehnenden Feedback der Kartellbehörden im Rücken wagte sich der Haldex-Vorstand endlich vor zu einem Nein. Seit einem Jahr (am 14.07.16 hatte SAF Holland das erste Angebot eingereicht) würden Turbulenzen und die Unklarheit über den künftigen Eigentümer Haldex belasten. Viele Kunden seien nicht bereit langfristige Verträge abzuschließen (Haldex-Board-Vorsitzender Jörgen Durban und CEO Ake Bengtssson). Das Board ziehe daher seine Unterstützung für das Angebot von Knorr-Bremse zurück. Man werde die schwedische Börsenaufsicht auffordern, eine nochmalige Verlängerung abzulehnen, da dies "für Haldex weiteren Schaden" bedeute. Bei einer gegenteiligen Entscheidung werde man diese anfechten.
Milliardär und Knorr-Bremse-Eigner Heinz Hermann Thiele (vom "Manager-Magazin" gerade in die "Hall of Fame" aufgenommen), dessen Vorstandvorsitzender Klaus Deller und ihr Heer von Beratern und Anwälten mussten von vorneherein davon ausgehen, dass die Kartellbehörden den Deal kaum durchwinken konnten und würden. Knorr ist unter den Zulieferern von Bremssteuerungs- und Luftfederungsgeräten für Nutzfahrzeuge Nummer eins, dahinter Wabco und Haldex. Eine Übernahme von Haldex würde zu einer marktbeherrschenden Stellung von Knorr führen. "Aufgrund Überschneidungen bei sechs von acht Haldex-Geschäftsfeldern" meldeten die Kartellbehörden bereits in ihrer ersten Stellungnahme "erhebliche Zweifel und ernste Bedenken" an. Mit einer Übernahme würde "funktionierender Wettbewerb erheblich eingeschränkt". Erklärungen von Knorr, man habe ein "umfangreiches tragfähiges Konzept für mögliche Veräußerungen unterbreitet mit indikativen Angeboten vielversprechender Interessenten", halten die Wettbewerbshüter entgegen, es bestünde "auch Unsicherheit bezüglich der Eignung möglicher genannter Käufer der sechs Bereiche".

EU-Kartellbehörden bestätigen wichtige Gründe für Tendenz Übernahme-Ablehnung

Die betreffenden Geschäftsfelder sind laut Behörden: Elektronische Bremssysteme (EBS), Antiblockiersysteme (ABS), Anhängerbrems- und -Steuerungsventile, Luftaufbereitungssysteme, Luftfederungsprodukte und Scheibenbremsen. Sie machen über die Hälfte des Haldex-Umsatzes aus. Eine Trennung von ihnen wäre laut Vorstand "sehr kompliziert und auch nicht sinnvoll". Aufgrund "integrierter Firmenstruktur" würde ein möglicher Verkauf der Produktbereiche "große Schwierigkeiten" nach sich ziehen. Viele Werke würden eine Reihe von Produkten produzieren, Forschungs- und Entwicklungszentren an einer Vielzahl von Produkten arbeiten. Das erschwere den Verkauf einzelner Produktgruppen. Das war auch Knorr-Bremse bekannt. Eigentliches Interesse des Marktführers war von Beginn an nur, eine Verbindung zwischen Getriebehersteller und Kaufinteressent ZF (Fried¬richshafen) und Haldex zu verhindern. Dazu wurde ZF im Herbst 2016 von Knorr mit einem 583 Millionen Euro-Angebot für Haldex ausgestochen (20 Millionen mehr als der ZF-Konzern, der zuvor Achsenhersteller SAF Aschaffenburg überboten hatte). Im Herbst bei Haldex eingestiegene Hedge-Fonds und Tausende Kleinaktionäre sprangen auf das um vier Prozent höhere Angebot von Knorr-Bremse (125 schwedische Kronen). Am 8. Dezember waren 86,1 Prozent der Haldex-Aktien Knorr "angedient".

Knorr-Bremse-Milliardär Thiele versucht nochmals auf Haldex-Aktionäre zu setzen

Vom jetzigen Feedback der Wettbewerbsbehörden und der Haldex-Erklärung zeigte sich Knorr nach außen zunächst "überrascht". Jetzt versucht der Konzern sowohl mit Pfeifen im Walde als auch mit großen Sprüchen und Hämmern weiter zu machen. Per Pressemeldung vom 30.06. ließ man verlauten: Man habe Alles im Griff und setze auf "Phase II mit vertiefter Prüfung" durch die Behörden. Diese hätten "noch keine finale Entscheidung getroffen". Das Kartellfreigabeverfahren werde "zuversichtlich mit vollem Engagement" fortgesetzt (Deller). Seine Sprüche: "Unser Ziel ist es, gemeinsam mit Haldex das nächste Kapitel unserer Unternehmensgeschichte aufzuschlagen", scheinen aber nun auch bei den Aktionären weniger zu ziehen. Unter ihnen macht sich Panik breit, Gier und Träume beginnen sich wieder in Luft aufzulösen. Der Wert der Haldex-Aktie sank am 30. Juni um 8,3 Prozent. Eine Stunde nach Öffnung hat der Börsenticker sogar einen Absturz um 11,6 Prozent auf ein Zehnmonatstief von 101 schwedischen Kronen gemeldet. Ausgerechnet der größte Räuber am Markt, Knorr-Bremse, phantasiert nun, der "Schritt des Hal-dex-Boards erzeuge erhebliche Unsicherheit für Aktionäre, Kunden und Mitarbeiter von Haldex". Thieles Tross fährt neue Geschütze auf und versucht wieder auf die Haldex-Aktionäre und deren Gier zu setzen. Am Abend des 30.06. ließ er nach Börsenschluss erklären: Man habe inzwischen "sein Recht ausgeübt und die unverzügliche Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung beantragt, im besten Fall nicht später als am 28. Juli". Die schwedische Börsenaufsicht sei aufgefordert worden, "weitere Schritte in Bezug auf den Antrag auf Verlängerung der Annahmefrist zurückzustellen, bis die Haldex-Aktionäre die Gelegenheit hatten, über die Unterstützung des Antrags zu entscheiden". Knorr-Bremse will Haldex unbedingt noch ein weiteres Jahr schwächen, und den kleineren Konkurrenten weiter am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Ehemalige Kaufinteressenten ZF und SAF halten sich weiter bedeckt

Die als strenger eingeschätzten US-Kartellämter haben sich bisher noch nicht einmal geäußert. Bleibt zu hoffen, dass Knorr-Bremse diesmal mit seinen Manövern endgültig scheitert und die EU-Behörden bzw. die schwedische Börsenaufsicht einen Riegel vorschieben. Sicher wären dadurch die Arbeitsplätze bei Haldex in Heidelberg und den größeren Standorten in Schweden, Un-garn, USA oder Mexiko noch nicht. Von Heidelberg hatten sich zuletzt im Mai 80 Prozent der tariflich Beschäftigten in einem Schreiben an Knorr-Bremse per Unterschrift vehement gegen eine Filetierung des Unternehmens gewandt und für den Fall der Übernahme den Erhalt der Arbeitsplätze und der Tarifverträge gefordert. Der kleine Konzern ist stark angeschlagen, hatte 2016 nur noch 9 Millionen Euro Gewinn (1,8 Prozent Umsatzrendite). Durch Produktionsverlagerungen nach Ungarn und die Verlegung der Entwicklung von Heidelberg nach England hat sich der Konzern, wie von Betriebsrat und IG Metall vorausgesagt, selbst geschwächt. Viele Beschäftigte, auch in USA haben das Unternehmen im letzten dreiviertel Jahr aufgrund der Unsicherheit verlassen. Mittel für notwendige Investitionen in Forschung und neue Produkte fehlen, weshalb man sich 2016 auch für den Einstieg eines starken Interessenten wie ZF stark machte. Nicht nur SAF, sondern auch ZF halten sich weiter bedeckt. ZF: "Wir nehmen die Entwicklungen zur Kenntnis. Als größter Aktionär von Haldex (20,1 Prozent) werden wir verantwortungsvoll handeln und den Übernahmeprozess nicht stören. Wir haben alles getan um Haldex zu schützen und zu fördern, und dabei bleiben wir auch" ("Schwäbische Zeitung", 20. und 30.06.17). Die Zukunft von Haldex bleibt weiter ungewiss.

Letzte Änderung: 03.07.2017